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Kindswut

Kindswut

Titel: Kindswut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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war ein Justiergerät aufgebaut, in das Barbara eine Felge eingespannt hatte.
    »Über die Bordsteinkante gebrettert?«
    »Ein Achter wie ein Riesenrad«, fluchte sie, »kriege ich nicht mehr hin.« Ich ließ mich auf einem Holzklotz nieder. »Wie es aussieht, hängst du mitten drin?«
    »Ziemlich.«
    »Erzähle.« Ich erzählte ihr alles, von meiner ersten Begegnung mit Frau Stadl bis zu dem letzten Verhör bei der Polizei. Zwischendurch knurrte sie. Ich wusste nicht, ob sie wegen meines Berichts diese Laute der Missbilligung von sich gab oder der Speichen wegen. »Im Zentrum steht Frau Stadl.«
    Sie nahm die Felge aus dem Spanner. »Muss ich völlig neu ausspeichen.« Sie begann, die Speichen aus der Felge zu drehen. Ich schaute ihr zu. Handwerkliche Tätigkeiten beruhigten mich. Seit Langem schon wollte ich Stricken lernen. Ich schaffte es nicht, Stricknadeln zu kaufen. Solche aus Holz, die klappern am lautesten.
    »Die Stadl ist zwar völlig überkandidelt«, griff sie meine letzte Bemerkung auf, »aber so meschugge, dass sie dir Penisse an die Wand malt, dich entführen lässt oder dich wüst am Telefon beschimpft, ist sie nicht.«
    »Und der Puff, das tote Kindermädchen als Domina, die Berichte von Frank Götz, der das alles brühwarm auf der gleichen Etage miterlebt hat?«
    »Das Jugendamt hat daraufhin reagiert, als er Anzeige gemacht hatte. Die Polizei ebenso. Sie haben nichts festgestellt.«
    »Der Mann ist kein Fantast.«
    »Fritz, da war nichts. Keine Matratze auf der Terrasse, kein geschminkter Philip im Beichtstuhl. Keine Peitschen, keine Fesseln, kein Latex und nichts.«
    »Das Kindermädchen ist tot. Ertrunken.«
    »Wahrscheinlich Selbstmord. Von der Oderbaumbrücke sind schon viele gesprungen.« Ich seufzte unter der Last ihrer Sachlichkeit. »Und was ist mit Philip?«
    »Der Junge ist Autist. Der gibt keinen Laut von sich.«
    »Er ahmt Tierstimmen nach, perfekt.«
    »Bei uns hat er nichts nachgeahmt.«
    »Und diese gräßliche Pitbull-Maske, die als Bild über dem Bett seiner Mutter hängt?«
    »Ich kenne ihn nur ohne Maske.«
    »In der ganzen Wohnung gibt es kein Bett für ihn.«
    »Das Jugendamt fand ein Bett, in dem Zimmer, in dem der Schrank steht.«
    Ich musste mich zusammenreißen, um nicht aus der Haut zu fahren. »Ich habe kein Bett gefunden, sondern ein Lager auf der Terrasse. Ich habe vor dem Schrank gesessen, er im Schrank. Ich habe seine Maske gesehen, ich habe mit ihm auf albernste Art und Weise Tierstimmen gespielt, gründelnde Enten, gackernde Hühner, grunzende Ferkel, ich habe sein Schauspiel in der Küche gesehen, ich habe hier dieses Messer, auf dem Blutspuren sind, die ich dich bitte zu analysieren.«
    »Die können von einem Huhn sein.«
    »Er hat mir dieses Schauspiel mit ganz viel Ketchup vorgeführt! Ich spinne doch nicht! Ich lebe doch in keiner anderen Welt als du! Ich habe alles das gesehen, was laut Jugendamt nicht existiert! Wenn Kinder über Monate in dunklen Kammern verhungern, existiert das für das Jugendamt oft auch nicht, trotz Hausbesuchen, selbst wenn die Kinderleiche schon seit Wochen im Bettchen vor sich hinstinkt!«
    Ich hatte mich richtig in Rage geredet. Sie war nicht aus der Fassung zu bringen. »Wo hast du das Messer?«
    »Hier.« Ich gab es ihr.
    »Okay, gehen wir ins Labor.« In dem Haus war eine Praxis, die sie früher selbst betrieben, jetzt aber vermietet hatte. In der Praxis gab es auch ein Labor. Sie verständigte eine der Assistentinnen, und wir gingen in einen kleinen Raum mit einem länglichen, schmalen Tisch, auf dem Mikroskope, Bestecke, Stahlschälchen mit Tupfer und allerlei medizinisches Gerät lagen. Barbara setzte sich vor eines der Mikroskope und schabte ganz vorsichtig mit einem Skalpell Blut vom Messer in ein Reagenzglas. »Ich kann jetzt auf die Schnelle nur feststellen, ob es sich um Blut von einem Menschen handelt.« Sie träufelte ein paar Tropfen einer klaren Flüssigkeit in das Reagenzglas und schüttelte es. Mit einer Pipette tat sie ein paar Tropfen dieser Flüssigkeit auf eine schmale Glasscheibe, die sie unter eines der Mikroskope schob. Sie schaute in das Mikroskop, wobei sie mehrere Knöpfe bediente, deren Funktion ich nicht kannte. Es dauerte nicht lange. »Es ist humanes Blut.« Sie hatte ihr Auge immer noch auf dem Mikroskop. »Es kann noch nicht so lange her sein, seit es auf die Klinge kam.« Jetzt richtete sie sich auf und wandte sich mir zu. »Das Blut ist ganz dicht am Schaft. Wenn ich das Messer von oben, vom Griff

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