Kindswut
des Autos zu sehen, in dem ich entführt worden war. Es war ein alter Opel. Er zeigte mir ein zweites Foto. Ich fummelte mit einem Draht am Fenster herum. Auf dem dritten Foto hatte ich das Auto geöffnet und war im Begriff einzusteigen. »Dürfen wir jetzt reinkommen?«
»Nein.«
»Wir können Sie auch mitnehmen.«
»Tun Sie das.« Ich wollte die Kerle nicht in meine Wohnung lassen. Da war genug Polizei gewesen. Mir langte es. Wir fuhren in einem klapprigen Polizeiauto in die Keithstraße zur Kripo. Ich war gespannt, was sie mir auftischen würden. Auf der Fahrt dahin rief ich Barbara Vogelweide an. »Komme etwas später. Habe ein Auto geklaut, haha!« Ich legte auf. Man brachte mich in eines der üblichen hässlichen Büros mit Tischen, Stühlen, Aktenordnern, Computern, Kaffeemaschine.
»Bitte.« Ich prüfte den Stuhl und nahm Platz. Der Stuhl knarrte, hielt aber meinem Gewicht stand. Der Gelbgesichtige setzte sich an eine Schreibmaschine und spannte ein Blatt Papier ein. Der mit dem Mundgeruch setzte sich mir gegenüber. Ich hatte noch einen Kaugummi in der Tasche und bot ihm ihn an. Er lehnte ab. »Sie stinken aus dem Mund wie ein Dragoner aus dem Latz.« Er spitzte nur seine Lippen zu einer Art Düse, als wollte er mich mit seinem Geruch besprühen. Der Mann war eine Plage. Ansonsten reagierte er nicht. Ich schaute hinter mich. Da war noch Platz. Ich rückte meinen Stuhl etwa einen Meter nach hinten. Die Stuhlbeine schrappten laut. »Ich will hier ja nicht verenden.«
Der Mann holte wieder die Fotos aus der Tasche.
»Das sind Sie doch?«
»Die ganze Angelegenheit ist längst geklärt. Ich wurde im Kofferraum dieses Autos entführt. Kollegen von Ihnen haben mich befreit. Die haben alles aufgenommen, was Sie wissen müssen. Beugen Sie sich doch nicht so weit vor. Meine Nase!«
Der Gelbgesichtige wollte meine Personalien aufnehmen. Ich gab sie ihm, ich wollte nicht den ganzen Tag hier verbringen. »Jetzt haben Sie alles und gehen Sie mal gucken, damit Sie das Protokoll von Ihren Kollegen finden. Es ist zwei Tage alt.« Die beiden wechselten Blicke. Der mit dem Mundgeruch fing wieder an. Es stank scheußlich. Mundgeruch als Vernehmungsbeschleuniger. Der abgefeimteste Schurke hielt das nicht aus.
»Das sind Sie doch auf den Fotos?«
»Ich war auf einer Beerdigung, von der ich entführt wurde. Ich sollte da die Grabrede halten. Alles längst protokolliert und aufgenommen!«
»Aber das sind Sie doch?«
»Ich kann es nicht sein.«
»Aber man erkennt Sie doch!«
»Ich lag im Kofferraum! Ihre Kollegen holten mich da raus!«
»Sie haben das Auto geklaut und die Entführung vorgetäuscht!«
»Könnten Sie bitte mit geschlossenem Mund reden?«
Er wedelte mit den drei Fotos. »Auf allen drei Fotos klar erkennbar Sie!«
»Ich klaue doch kein Auto, um mich in den Kofferraum zu legen, und lasse mich dann von der Polizei befreien!« Der Gelbgesichtige hatte das Büro verlassen und kam mit einer Akte zurück. Er schien mir irgendwie noch gelber im Gesicht zu sein. »Hier.« Er gab die Akte seinem Kollegen. Der öffnete sie und blätterte darin herum. Es war das Protokoll meiner Befreiung auf dem Aldi-Parkplatz.
»Aha, aha.« Bei jedem ›Aha‹ kam eine Güllewolke angeweht. »Das ist klärungsbedürftig.« Er blätterte in der Akte, als wäre sie ein dickes Lexikon. »Aha. Aha.«
Ich bekam einen Würgereiz, ging ans Fenster und öffnete es. Ich sog die frische Morgenluft ein. »Wie geht das? Im Kofferraum und auf den Fotos gleichzeitig?«, moserte ich. Er blätterte immer noch, als säße irgendwo zwischen den Akten unsichtbar der ominöse Fotograf. Das Blättern brach ab. Ich drehte mich um, einigermaßen erfrischt. Er legte die Akte auf den Tisch.
»Wir werden der Sache nachgehen!«
Ich begab mich auf dem direkten Weg zu Barbara Vogelweide. Sie wohnte in einer uralten kleinen Villa im Westend. Es war ein Knusperhäuschen, mitten in einem großen Blumengarten, über und über bedeckt mit kleinen Holzschindeln und Kletterpflanzen. Barbara war klein, energisch, hatte wunderschöne graue Augen unter vollem schwarzen Haar. Ihre Leidenschaft war das Radfahren. Sie konnte äußerst zupackend sein und in brenzligen Situationen von kühlster Sachlichkeit. Gleichzeitig war sie ein knispernder Kobold und ihre Wuseligkeit steckte voller Überraschungen. Sie arbeitete in einer Klinik in der Psychiatrie als Ärztin. Ihre Patienten waren überwiegend traumatisierte Kinder und Flüchtlinge. Auf einem Tisch im Garten
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