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Kindswut

Kindswut

Titel: Kindswut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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aus betrachte, kann ich das Blut nicht sehen. Das besagt gar nichts, aber jemand, der das Messer gereinigt hat und prüfte, ob alle Spuren weg sind, kann diese winzigen Blutspuren übersehen haben. Es ist auch unwahrscheinlich, dass sich jemand selbst so dicht am Schaft in den Finger schneidet. Das passiert eher in der Mitte der Klinge.« Sie referierte kühl und sachlich wie eine Gerichtsmedizinerin. »Wir müssen die genaue Blutgruppe feststellen.« Sie schüttelte das Reagenzglas. »Dann müssen wir sie vergleichen mit der Blutgruppe von Frau Körner, dem Kindermädchen.«
    »Wie willst du das machen?«
    »Indem ich jetzt in der Forensik anrufe und wir das Messer dorthin bringen. Du erzählst deine Geschichte und alles läuft von selbst.«
    »Eben hast du noch gesagt, das Jugendamt war in der Wohnung von der Stadl. Alles paletti.«
    »Alles eine Frage der Methode. Wir schließen nur aus. Sind die Blutgruppen identisch, haben wir einen begründeten Verdacht, dass es zwischen der Körner und dem Messer einen Zusammenhang gibt. Blut am Schaft könnte heißen, Messer bis zum Anschlag in den Leib gerammt. Der Leib der Körner ist vorhanden. Diese tiefe Stichwunde müsste man deutlich sehen. Sind die Blutgruppen nicht identisch, gibt es auch keinen begründeten Verdacht und wir können die Sache vergessen.«
    »Ich wollte den Jungen raushalten.«
    »Das kannst du nicht, oder du gibst die ganze Sache auf.« Sie schaute mich schmunzelnd an. Sie amüsierte sich über meine Unentschiedenheit. »Fritz, bis jetzt ist doch noch nichts Gravierendes passiert! Ein paar skurrile Begebenheiten! Pimmel an der Wand! Kofferraum! Gekreische am Telefon! Ein bisschen Strom im Bett! Wolltest du doch schon immer.« Ihr Grinsen war anzüglich. Sie telefonierte mit der Forensik und war nach einigen Telefonaten, »die Leiche Körner bitte«, bei dem toten Kindermädchen angelangt. Wir fuhren in ihrem alten Citroën DS 19 los. Der zuständige Gerichtsmediziner war in der Anatomie bei der Arbeit. Mit einer kleinen Kreissäge sägte er einem jungen Mann den Brustkorb auf. Der Schädel war bereits geöffnet. Das Gehirn lag blank.
    »Mit dem Motorrad nachts gegen einen Baum geknallt. Lag eine Nacht im Freien. Wäre ein idealer Organspender gewesen. Zu-u-u spä-ä-ä-t, zu spä-ä-ä-t«,
trällerte er. »Was gibt es, verehrte Kollegin?«
    An Barbaras Stelle antwortete ich und erzählte brav meine Geschichte. Er schaute mich nur ganz kurz über die Ränder seiner Brille an, die ihm durch die gebückte Haltung bei der Arbeit auf die Nase gerutscht war.
    »Klingt ja nach Mord! Wie furchtbar!« Er grinste. Er hatte ein feistes Gesicht und einen kurzen Backenbart. Er hatte den Brustkorb des jungen Mannes geöffnet und hievte die Lungenflügel ins Freie. Der Mundgeruch des Polizisten war Balsam gegen diesen Anblick. Mir wurde extrem schwummrig vor den Augen.
    »Legen Sie es dahin.« Ich legte das Messer neben die Leiche und verließ fluchtartig den Raum, der vollständig weiß gekachelt war. Es hätte auch der Schlachtraum einer Großmetzgerei sein können. Ich halluzinierte an den Füßen aufgehängte, in zwei Hälften gespaltene Männer mit der Pitbull-Maske von Philip, die zum Ausbluten über Wannen hingen. Die Metzger machten Blutwürste unter ständigem Umrühren des Blutes über einem Feuer, bis das Blut die richtige Konsistenz hatte, um in Därme gefüllt zu werden. So entstanden die köstlichen Boudins aus Frankreich, die, mit Zwiebeln und Apfelkringeln gebraten, zu Sauerkraut und Kartoffelpüree gereicht, herrlich waren! Bei für mich physisch ekligen Anblicken bekam ich schon immer Fressfantasien, die an Kannibalismus grenzten. Barbara riss mich aus meinen Betrachtungen. »Das Ergebnis haben wir in ein paar Stunden. Fällt es positiv aus, setzt sich die Maschinerie polizeilicher Ermittlung in Gang.«
    »Das wollte ich verhindern.«
    »Hast du noch Zeit für einen Kaffee bei mir?« Ich hatte Barbara noch nie ein solches Angebot abschlagen können. Zum Kaffee gab es immer eine Apfeltorte mit gelben Butterstreuseln. Meine Laune stieg rapide. Wir fuhren auf der Prachtstraße des 24. Juni am russischen Ehrenmal vorbei, Touristen standen vor dem Panzer und knipsten, als uns das Motorrad überholte und dann, links von Barbara, auf gleicher Höhe mit uns fuhr. Der Fahrer war ganz in Schwarz gekleidet, das Bike war schwarz lackiert. Ich konnte nicht erkennen, um welche Marke es sich handelte. Es war eine schwere Maschine. Vielleicht war es eine

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