Kindswut
englische Norton. Es ging sehr schnell. Drei Schüsse fielen aus einer Pistole, die der Motorradfahrer auf uns abfeuerte. Der alte Citroën kam ins Schleudern und wir überschlugen uns. Wir schlitterten ein paar Meter, das Autoblech knirschte auf dem Asphalt, wir landeten auf dem Dach. Wir lebten und waren unverletzt. Passanten wollten uns aus dem Autowrack helfen. Die Türen klemmten und ließen sich nicht öffnen. Ich roch Benzin. Einer der helfenden Passanten rauchte eine Zigarette. Ich bat ihn dringend, die Zigarette nicht auf den Boden zu werfen, sich zu entfernen, sich ganz weit weg zu begeben. Er begriff nichts. Er konnte kein Deutsch. Eine Frau nahm ihm die Zigarette weg.
»Benzin, Benzin.« Sie schnüffelte und deutete auf die Zigarette.
»Aaahhh.« Der Mann hatte verstanden. Er lachte. Die Feuerwehr kam sehr schnell und befreite uns. Sanitäter wollten uns unbedingt auf Tragbahren festschnallen und in Krankenwagen verladen. Wir weigerten uns.
»Uns fehlt nichts.«
Die Polizei sperrte den Unfallort ab. Barbara hatte den Pistolenschützen gar nicht bemerkt. »Plötzlich schleuderte der Wagen.« Der Schütze hatte in den Vorderreifen geschossen und in den Tank.
»Sie haben Glück gehabt«, sagte einer der Polizisten. Diesen Satz hatte ich doch erst gehört. Ein Stromstoß war durch mein Stahlbett gezuckt. › Sie haben Glück gehabt ‹ , meinte der Polizist in meiner Wohnung. Ich war ja ein richtiger Glückspilz. Meine Freude hielt sich in Grenzen.
»Wie viele Schüsse waren es?«
»Drei.« Der Wagen wurde von der Polizei abgeschleppt. »Wir müssen ihn genau untersuchen.«
»Nur noch Schrott!« Barbaras Stimme klang wehmütig, als der völlig verbeulte alte Citroën auf die Ladefläche des Abschleppautos gehievt wurde. Wir gönnten uns ein Taxi bis zu Barbara. Es war Nachmittag, als wir den Garten wieder betraten. Die Sonne schien. Ich nahm in einem Korbsessel Platz und Barbara ging in die Küche, um den Kaffee zu machen. Nach einem Weilchen kam sie mit einem Tablett zurück. Darauf standen die Tassen, die Kaffeekanne, ein Schälchen mit Zucker, und über ein Schüsselchen wölbte sich die Sahne. Auf zwei Tellern lagen zwei große Stücke Apfelkuchen mit Streuseln. Ganz wie ich es mir vorgestellt hatte. Barbara stellte das Tablett auf einen Tisch.
»Kommst du?« Sie setzte sich zu mir. Barbara war heiter, als wäre nichts passiert. Das war ihr Naturell. Sie war stressresistent. Ganz beiläufig sagte sie: »Die Blutgruppen sind identisch. Er hat gerade angerufen. Jetzt sieht die Sache ganz anders aus.«
Ich aß mein Stück Kuchen und tupfte die Krümel mit dem Finger auf. Die Streusel knirschten leicht zwischen den Zähnen.
»Und das ist noch nicht alles.« Sie spießte das letzte Stück ihres Kuchens auf die Gabel und aß es ganz bedächtig. Sie spannte mich auf die Folter. »Hat er dir geschmeckt? Selbst gebacken.«
»Hervorragend, wie immer. Jetzt sag schon!« Sie kaute erst zu Ende. »Die Körner ist durch Messerstiche umgekommen. Viele Stiche, mit Wucht ausgeführt. Es war ein langes Messer. Wie das Tranchiermesser.« Sie sagte das mit der ihr eigenen Nonchalance. Als handelte es sich um Bratenaufschnitt, und nicht um die niedergesäbelte Frau Körner.
Kapitel 6
Der Tag wurde nicht wirklich heiterer. Vor der Weinhandlung von Claus war ein Menschenauflauf. Mehrere Polizeiautos waren geparkt, ein Feuerwehrauto stand halb auf dem Bürgersteig. Polizisten gingen durch die Toreinfahrt ein und aus. Ich steuerte auf Claus zu. »Was ist denn hier los?«
»Mensch, da bist du ja!«
»Wieso? Ist was passiert?«
»Dein Briefkasten ist explodiert!«
»Wie bitte?« Das nahm ja wirklich kein Ende heute. »Wie das denn?«
»Der Briefträger wollte die Post in deinen Briefkasten stopfen, ein großes Kuvert, und wumm!, ging der Kasten hoch!«
»Und der Briefträger?«
»Eine Hand weg. Sie haben ihn ins Krankenhaus gebracht.«
»Der nette Kleine?«
»Genau der.«
Ich wusste, dass jetzt wieder Fragen auf mich zukamen, die ich nicht beantworten konnte. Nach der irren Nummer als Autodieb und Selbstentführer kam ich sicherlich auch als Bombenleger in Betracht, der sich, beim Öffnen des Briefkastens, selbst in die Luft sprengen wollte. Ein Terrorist in eigener Sache. Ich wollte mich klammheimlich verdrücken, als ich von dem Gelbgesichtigen und dem mit dem Mundgeruch erspäht wurde. Sie kamen aus der Toreinfahrt. Sie steuerten schnurstracks auf mich zu. »Sie da!«, bellte der mit dem Mundgeruch. Er
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