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Kindswut

Kindswut

Titel: Kindswut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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Absätze, die auf den Fliesen der Terrasse metallisch klackerten. Sie waren mit Eisen beschlagen. »Kann ich abräumen?« Ich nickte. Er räumte ab. Die Teller klapperten, als er sie übereinander stellte und die Löffel unnötig laut darauf knallte. Er tat es mit Absicht. Ich beherrschte mich. Er ging und wackelte mit dem dürren Hintern wie ein gerupfter Erpel, der seinen ausgetrockneten Bürzel schwenkte.
    »Philip hat mich gerade angerufen!« Maria war nicht im Mindesten erstaunt. »Wurde aber auch Zeit.«
    »Heute Abend ist ein Fest in meiner Mietskaserne. Er hat mich eingeladen.«
    »Dann gehen wir wohl hin.«
    »Warum macht er das?«
    »Er mag dich.«
    »Mach keine dummen Witze.«
    »Wenn nicht, hätte er dich längst umgebracht.« Da konnte sie recht haben.
    »Gehen wir.«
    »Wir müssen noch zahlen!« Sie kramte in ihrer Manteltasche nach Geld. »Wir zahlen nicht. Diese Ministückchen! Lächerlich. Den Cappuccino hat er auch noch nicht gebracht.«
    »Okay.« Wir erhoben uns. Victor kam mit den beiden Cappuccinos angewackelt. Maria fummelte aus ihrer Manteltasche eine Sonnenbrille und setzte sie sich auf. Victor blieb mit den beiden Capuccinos auf dem Tablett neben uns stehen. Er balancierte das Tablett auf der flachen Handfläche und hielt es mir direkt vor die Nase. Er sah, dass wir im Aufbruch waren.
    »Ja wiiiee-e-e?«, motzte er. Ich blies ihm den Schaum vom Cappuccino ins Gesicht. Kleine Wölkchen, die ihm entgegensegelten.
    Maria hakte sich bei mir unter. »Komm Schatz, wir gehen, und du zeigst mir Berlin.« Wir kicherten wie Schüler, die die Zeche geprellt hatten und sich diebisch darüber freuten. Wir schlenderten auf den Stutti zu. Ich war froh, dass Maria bei mir war. Ich hätte ihr auch meinen Hals für ein Schlückchen Blut geliehen, wenn ihr danach gewesen wäre.
    »Jetzt ’n Bier!« Nicht nach mir, nach Bier stand ihr der Sinn.

Kapitel 13
    Es war nicht bei einem Bier geblieben. Maria soff, als hätte sie alle Schleusen geöffnet. Wir saßen vor dem ›Lentz‹, nicht im ›Dollinger‹. Vor dem ›Dollinger‹ saßen Martha und Ludwig. Ludwig hielt schelmisch den Kopf schief und schielte mit seinem Kasperlelächeln in das leere Weinglas vor ihm. Dann kam es, wie es immer kam. Er kippte seitlich weg. Martha konnte ihn gerade noch auffangen. Das erheiterte Ludwig, der in ihren Armen hing und gerade mit einer Pobacke noch auf dem Stuhl verblieb.
    »Noch ’n Wein!«, orderte er bei Doris. Martha bugsierte ihn auf den Stuhl zurück und rückte ihn zurecht. Nie wäre es ihr in den Sinn gekommen, ihrem trunkenen Ludwig den nächsten Wein und den übernächsten und den danach abzuschlagen. Der trunkene Ludwig war ihr Untertan und wurde niemals fahnenflüchtig. Er blieb immer der ihre. Maria und ich wollten uns ihnen nicht zugesellen. Was sie sagen konnten, hatten sie gesagt. Ich sah ihnen vom ›Lentz‹ aus zu wie Schmierenkomödianten, die gerade ihre Show abzogen, nachdem sie mit knapper Not einer rabenschwarzen Tragödie entkommen waren. Ich saß noch mitten drin, im Spektakel, der Vorhang sollte erst zu später Nachtzeit fallen. Maria zog sich auf die Bank neben dem Eingang des ›Lentz‹ zurück. Sie machte ein Nickerchen, das bis zum Morgen anhalten konnte.
    Es war jetzt neun Uhr vorbei. Ich warf einen Blick zum ›Dollinger‹. Martha schleifte Ludwig zum Auto. Seine Arme baumelten lose wie die einer Marionette. Seine spitze Nase stach in den Himmel. Die Nacht zog herauf. Die Schwalben flogen niedrig. Fledermäuse torkelten umeinander im Zickzackflug. Die Markisen der Lokale leuchteten bunt im Schein der Laternen. Wind rauschte in den Blättern der Kastanienbäume und vermischte sich mit dem leisen Murmeln der Stimmen. Jetzt hätte Barbara um die Ecke kommen können. Sie sieht mich, ein Lächeln, sie setzt sich neben mich, wir fassen uns an, sehen uns in die Augen, Mund an Mund. Ich hob es mir für später auf. Erst musste ich das Spiel zu Ende spielen, in das ich geraten war, ohne zu wissen, welches Spiel ich spielte oder nach welchen Regeln mit mir gespielt wurde. Martha verstaute Ludwig im Auto. Ich war eine Marionette wie er. Ich spürte die unsichtbaren Fäden, die an mir zogen und zerrten, in ganz verschiedenen Richtungen gleichzeitig. Man hatte früher auf dem Marktplatz, nach Gerichtstagen, Menschen um die Gelenke der Arme und Beine Stricke gebunden, an denen vier Pferde zogen, bis der Mensch entzweigerissen war. Ich rief bei Daud an. Er war ein Meister der Verwandlungskunst. Die

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