Kindswut
provozieren. Ich erreichte das Gegenteil. Sie rastete völlig aus.
»Ich will ihn nicht sehen!«, schrie sie. »Halten Sie ihn mir vom Leibe!« Sie wusste, wessen Konterfei im Hologramm abgebildet war. Sie wusste es von Sophie, der Bestattungsunternehmerin, die sich den siechen Krüppel als Liebesobjekt ausgewählt hatte, mit Billigung der Mutter, die jetzt die Wilde markierte und jede von ihr angestiftete Unsäglichkeit von sich fernhalten wollte. Wie blöde war ich eigentlich, zu glauben, ich könnte an den edlen Mutterinstinkt in ihr appellieren? Da war nichts. Da war Mutterinstinkt in Form einer kreischenden Frau Stadl, die vor meinen Augen aus den Fugen geriet. »Fuck you! Fuck you!« Sie warf sich rücklings auf den Rasen, drückte das Kreuz bis zum Äußersten durch, balancierte diesen fleischigen Brückenbogen auf Fußspitzen und Schädel, ich glaubte, die Knochen vor Anstrengung und Belastung ächzen zu hören, sie hatte den Mund weit geöffnet, fast rissen die Mundwinkel ein, so gespannt waren die Lippen, wie die Sehne eines Bogens, ein gutturales Krächzen quetschte sich aus dem Kehlkopf, der weit herausstand aus dem zurückgebogenen Hals. Dabei hämmerte sie mit den Fäusten auf den Boden. Rasenstücke fetzten. Es war eine akrobatische Leistung, die sie vollbrachte. Zur artistischen Krönung wollte sie sich einen Stöckelschuh vom Fuß reißen. Das gelang ihr nicht. Sie reichte mit der Hand nicht bis zum Fuß. Der Arm war zu kurz, zumal die Spitzen der Stöckelschuhe sich tief in den Rasen gebohrt hatten. Brückenpfeiler, die ihre Last trugen. Die Stränge der Wadenmuskeln zeichneten sich deutlich unter der Haut ab. Der Rock war ihr über die Hüften geglitten und gab die wohlgeformten, weißen, von der Anstrengung angespannten Schenkel preis. Sie trug kein Höschen. Die Pobacken waren bis zum Äußersten unter dem Druck der Muskeln angespannt. Das dunkelblonde Schamhaar leuchtete dicht und fellig auf der Höhe des restlos durchgedrückten Brückenbogens. Ein Vlies, um das keiner tanzen wollte, so sehr es auch lockte. Das Mutterglück der Frau Stadl bebte in seiner reinsten Gestalt.
Ich wusste nicht, wohin mit dem Hologramm in meiner Hand. Es zurück in das Steinnest zu legen erschien mir, angesichts der freizügig angespannten Lage der Mutter, dem Sohn gegenüber, der zumindest im Hologramm noch anwesend war, unschicklich. Ich steckte es zurück in meine Hosentasche und wandte mich zum Gehen. Der Auftritt der Frau Stadl war mir unerträglich. Ein entsetzlicher Wutschrei entrang sich ihr, weil sie den Stöckel nicht zu fassen bekam. Alles, was sich ihr widersetzte, reizte sie ins Unermessliche. Vernichtung war angesagt. Ich warf einen Blick zurück über die Schulter. Sie hatte sich auf den Bauch gewälzt und sich mit den Fingern in den Rasen verkrallt. Mit den Zähnen riss sie die Grashalme aus. Selbst die waren ihr zu widerständig. Es war im höchsten Maße bizarr und lächerlich. Mit großer Verwunderung beobachtete Frau Jodler die Szenerie.
Ich verließ das Hospiz endgültig und bestieg den weinroten Lancia. Sie hatte die Schlüssel stecken lassen. Die Urne lehnte auf dem Rücksitz. Ich wollte mich ihrer entledigen. Ich fuhr zum Kommissariat in der Keithstraße. Ich stieg aus und gab bei einem Oberwachtmeister die Urne ab.
»Schönen Gruß von Fritz Neuhaus an die Kommissarin Glück.« Der Oberwachtmeister staunte über das Präsent. »Die Kommissarin weiß Bescheid.« Der Polizist war etwas ratlos. Wie sollte er die Urne abstellen? Auf die Spitze stellen konnte er sie nicht. Er behielt sie vorerst im Arm, wie die Mutter das Kind. Fehlte noch, dass er die Urne sanft wiegte und streichelte. Heiapopeia. Sophie würde sich den zierlichen Aschedaumen in den Mund stecken. »Vor dem Kommissariat steht ein weinroter Lancia. Er gehört der Frau Stadl. Auch das wird die Kommissarin interessieren. Die Schlüssel stecken.«
Ich lief den Ku’damm hinunter, Richtung Stutti, vorbei am KaDeWe und der Gedächtniskirche, die wie ein ausgehöhlter brauner Backenzahn in den blauen Himmel ragte, über den heiter Schäfchenwolken trieben. Meine Beine waren schwer, ich fühlte mich wie zerschlagen von den Wutattacken der Frau Stadl. Meine Theorien vom mörderischen Sohn, der, um zu überleben, die Mutter tötete, konnte ich mir an den Hut stecken. Barbara lag auch weit daneben. Keine kannibalische Einverleibung der Mutter durch Tötung. Allmächtige Mutter unser, die du bist in der Hölle, fahre dahin. Jetzt bist du
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