King of the World
Demütigungen nicht. Clay sagte oft, daß er, seit er zehn war, nachts oft wach gelegen und sich weinend gefragt habe, warum seine Rasse so sehr leiden müsse.
Der rassistische Vorfall, der auf Clay den tiefsten Eindruck machte, war der Mord an einem vierzehnjährigen Jungen namens Emmett Till im Sommer 1955, ein Ereignis, das einer der Auslöser der Bürgerrechtsbewegung wurde. Emmett Till lebte in Chicago und verbrachte den Sommer häufig bei Verwandten in der Kleinstadt Money in Mississippi. Der Staat war ein Zentrum des Widerstands gegen den Entscheid
Brown vs. Board of Education
von 1954 und jede Art von Integration. Die beiden Senatoren von Mississippi, James O. Eastland und John Stennis, gehörten zu den schlimmsten Rassisten in Washington, und der Gouverneur J. P. Coleman erklärte, Schwarze seien nicht wahlfähig. In Mississippi wurden seit Beginn der amtlichen Aufzeichnungen im Jahr 1882 über fünfhundert Schwarze gelyncht. Emmetts Sommerreisen machten seine Mutter so nervös, daß sie ihren Sohn wiederholt im Rassenverhalten des rassistischen Südens unterwies, zu dem gehörte, daß man Weißen mit »yassuh« (»Yes, Sir«) und »nawssuh« (»No, Sir«) antwortete. Rein aus Angst versuchte sie ihm das gesamte Lexikon des Katzbuckelns einzutrichtern, das bei der neuen Generation, die in den Städten des Nordens wie Chicago aufgewachsen war, allmählich in Vergessenheit geriet.
Ende August kam Emmett Till nach Money. Eines Tages stand er mit Freunden vor einem Lebensmittelladen, erzählte ihnen von seiner integrierten Schule in Chicago und zog ein Bild von seiner weißen Freundin aus der Brieftasche.Einer der einheimischen Jungen sagte ihm, im Laden sei eine weiße Kassiererin, er solle doch mal reingehen und mit ihr reden. Das tat Emmett und sagte, als er wieder herauskam: »Bye, Baby.« Ein paar Tage später brachen der Ehemann der Kassiererin, Roy Bryant, und sein Halbbruder J. W. Milam in das Haus von Tills Großonkel Mose Wright ein, zerrten den Jungen aus dem Bett und in die Nacht hinaus. Sie schlugen zuerst mit ihren Pistolen auf ihn ein und verlangten, daß er zugab, was er getan hatte, und dafür um Verzeihung bat. Till weigerte sich, worauf sie ihm in den Kopf schossen. Mit einem Stück Stacheldraht banden sie ihm den schweren Ventilator einer Baumwollentkörnungsmaschine an den Hals und warfen die Leiche in den Tallahatchie. Die schwarze Presse, darunter
Jet
und
The Chicago Defender
, brachte Bilder von Tills verstümmeltem Gesicht, und auch die weißen Medien berichteten von dem Prozeß. Die Anwesenheit der Presse trug jedoch nicht dazu bei, daß Recht gesprochen wurde. Die ausschließlich weißen Geschworenen sprachen Bryant und Milam nach nur siebenundsechzig Minuten Beratung frei. »Wenn wir keine Limonadenpause gemacht hätten«, sagte ein Geschworener, »hätte es nicht so lange gedauert.«
Wie viele andere auch war Clay senior über den Vorfall zutiefst empört. Er erzählte seinen Söhnen davon und sorgte dafür, daß sie auch die Fotos sahen. Für Cassius hatte das Verbrechen eine persönliche Dimension: Till war nur ein Jahr älter als er. Der Mord verstärkte bei ihm den Eindruck, daß ein schwarzer Junge aus Louisville in eine Welt trat, die ihm alles verweigern, die ihn zurückstoßen, ihn sogar hassen würde. Manchmal, vor allem am Anfang seiner Karriere, wurde Clay von Reportern gefragt, warum er Boxer geworden sei, worauf er ohne zu zögern antwortete: »Ich habe angefangen zu boxen, weil ich glaubte, daß es in diesem Landfür einen Schwarzen der schnellste Weg war, es zu etwas zu bringen. Ich war in der Schule nicht besonders hell und schnell und konnte nicht Football- oder Basketballspieler werden, weil man dafür ans College gehen und alle möglichen Abschlüsse und Prüfungen machen muß. Ein Boxer braucht einfach nur in die Turnhalle zu gehen, herumzuspringen, Profi zu werden, einen Kampf zu gewinnen, Pause machen, und schon ist er im Ring. Wenn er gut genug ist, verdient er mehr Geld als ein Ballspieler in seinem ganzen Leben …«
»Ich habe gesehen, daß eine High-School-Ausbildung oder gar eine College-Ausbildung keine Zukunft hatte«, sagte er bei anderer Gelegenheit. »Es lag keine Zukunft drin, weil ich zu viele kannte, die so eine Ausbildung hatten und dann doch an der Straßenecke rumstanden. Ein Boxer hat jeden Tag etwas zu tun. In die Turnhalle gehen, die Handschuhe anziehen und boxen … Auf der Straße gab’s nichts zu tun. Die Jungs schmissen mit Steinen
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