King of the World
sag ich immer, sein erster K.-o.-Schlag hat mich am Mund erwischt.«
»Er hat immer gern geredet«, sagte auch Clay senior. »Ich komme nach Hause, und auf der Veranda sitzen so ungefähr fünfzig Jungen – da war er ungefähr acht –, und er redet mit allen, hält ihnen einen richtigen Vortrag, und ich sag: ›Vielleicht gehst du mal rein und ins Bett?‹ Jungen aus dem ganzen Viertel, und der einzige, der redete, war er. Der findet immer was, worüber er reden kann.«
Cassius Clay senior war selbst ein Prahler, ein Charmeur, ein Schauspieler, immer voller phantastischer und unsinniger Geschichten. Allen, die es hören wollten, darunter den Reportern, die in späteren Jahren nach Louisville pilgerten, erzählte er, er sei früher ein arabischer Scheich oder ein adliger Hindu gewesen. Wie Ralph Kramden, Jackie Gleasons Busfahrer mit den großen Träumen, verkündete Clay senior seine Pläne für den großen Wurf, beschrieb, wie er diese Idee oder jenen Dreh vermarkten wollte, um die Clays ein für allemal hinaus aus Louisville in ein Vorstadtparadies zu katapultieren. Seine große Schwäche war jedoch die Flasche, und wenn er trank, wurde er oft gewalttätig. Die Akten der Louisviller Polizei belegen, daß er viermal wegen rücksichtslosen Fahrens, zweimal wegen ungebührlichen Benehmens und zweimal wegen Körperverletzung verhaftet wurde; dreimal rief Odessa die Polizei, weil ihr Mann sie verprügelte.»Ich trink schon mal gern einen, hin und wieder«, sagte Clay senior. Oft verbrachte er seine Abende damit, von Bar zu Bar zu ziehen und dabei nach Möglichkeit Frauen abzuschleppen. (Viele Jahre später hatte Odessa die Frauengeschichten ihres Mannes so satt, daß sie auf einer vorübergehenden Trennung bestand.) John »Junior Pal« Powell, der Besitzer eines Schnapsladens im West End, erzählte einem Reporter der
Sports Illustrated
, wie der alte Mann eines Abends vor seinem Fenster vorbeigetorkelt sei, das Hemd über und über voll Blut. Eine Frau hatte ihm ein Messer in die Brust gestoßen. Als Powell sich erbot, ihn ins Krankenhaus zu bringen, weigerte sich Clay senior mit den Worten: »Hey, Junior Pal, das Beste, was du für mich tun kannst, ist das, was die Cowboys immer tun. Weißt schon, gib mir ’n kleinen Drink und gieß mir ein bißchen was auf die Brust, dann geht’s schon wieder.«
Schon in jungen Jahren hatte Clay junior offenbar gelernt, diese chaotischen Vorfälle nicht an sich heranzulassen; noch als er die vielleicht sichtbarste und pressefreundlichste Gestalt der Welt geworden war, wich er bohrenden Fragen nach seinem Vater aus. Er scherzte darüber, daß sein Vater immer einen Blick für andere Frauen hatte – »Mein Daddy ist ein Playboy. Er trägt immer weiße Schuhe, eine rosa Hose und ein blaues Hemd, und er sagt, er wird nie alt« –, aber viel weiter ließ er das Gespräch nie gehen. »Mir schien immer, daß Ali als Kind von seinem Vater eine tiefe psychische Wunde erhalten hatte und daß er deshalb so dicht machte«, sagte einer seiner engsten Freunde. »In vieler Hinsicht ist Muhammad, so brillant und charmant er auch ist, noch immer ein Jugendlicher. Da liegen viele Schmerzen begraben. Und obwohl er immer versucht hat, sie zu verdrängen, sie aus dem Kopf zu kriegen, rührt viel von diesen Schmerzen von seinem Vater, dem Trinken, der Gewalt, den Tiraden.«
Clay senior arbeitete hart, um seiner Familie ein einigermaßen sorgenfreies Leben zu bieten, und zuzeiten waren seine Schilder überall in Louisville zu sehen:
JOYCE’S BARBER SHOP
KING KARL’S MÖBEL IN DREI RÄUMEN
DR. A. B. HARRIS: ENTBINDUNGEN UND FRAUENLEIDEN
Doch Clay senior, der Kunsthandwerker, hatte einen Groll. Seine größte Enttäuschung war, daß er seinen Lebensunterhalt nicht mit Wandgemälden und Bildern verdienen konnte. Er war kein außergewöhnliches Talent – seine Landschaften waren knallig, seine religiösen Bilder nur eine Stufe über dem Kitsch –, aber er hatte auch keinerlei Ausbildung gehabt. Clay senior hatte die Schule nach der neunten Klasse verlassen, was er mit gutem Grund den beschränkten Möglichkeiten von Schwarzen zuschrieb. Er sagte seinen Kindern oft, der weiße Mann habe ihn unterdrückt, habe verhindert, daß aus ihm ein wahrer Künstler wurde, daß er sich ausdrücken lernte. Mit seinem Mißtrauen gegenüber Weißen hielt er nie hinterm Berg. Und obwohl er später einmal der Nation of Islam vorwerfen sollte, sie unterziehe seinen Sohn einer »Gehirnwäsche« und nehme ihn
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