King of the World
hatte, stand sie widerstrebend auf, winkte und setzte sich wieder hin. Clay dagegen genoß die Aufmerksamkeit.
Die Feierlichkeiten überdeckten eine unterschwellige Ambivalenz Clays in Louisville, die sich nach und nach verstärken sollte. Die Handelskammer von Louisville würdigte Clay mit einer lobenden Erwähnung, weigerte sich aber, ihm zu Ehren ein Essen zu veranstalten. »Wir haben jetzt gerade keine Zeit«, erklärte ihr Geschäftsführer K. P. Vinsel. Später verübelten dem Kämpfer viele Louisviller, zumal die weißen, daß er zum Islam übertrat, seinen Namen änderte, den Militärdienst verweigerte und sich so scharf und häufig zu politischen Fragen äußerte. 1978, auf dem Höhepunkt seines Ruhms, stimmte der Stadtrat dem Antrag, die Walnut Street in Muhammad Ali Boulevard umzubenennen, mit der denkbar knappsten Mehrheit von sechs zu fünf Stimmen zu.
Obwohl er sich dem sowjetischen Reporter in Rom gegenüber zur Rassenfrage abwehrend geäußert hatte, war Clay nur allzu deutlich geworden, daß seine Goldmedaille in Louisville überhaupt nichts verändert hatte. Noch immer herrschte dieselbe Jim-Crow-Mentalität. Nicht lange nach seiner Rückkehr ging er in ein Imbißlokal und bestellte einen Fruchtsaft.
»Sie werden hier nicht bedient«, sagte der Besitzer.
»Aber das ist doch der Olympiasieger!« sagte einer der Kellner.
»Ist mir scheißegal, wer das ist«, entgegnete der Besitzer. »Raus mit ihm!«
Folgerichtig erklärte Clay, er sei nun bereit, Profi zu werden. Dazu brauchte er aber einen Manager und finanzkräftige Unterstützung, und als Olympiasieger, der im ganzen Land bekannt war, war er ein heißer Anlagetip geworden. Ein paar Jahre früher wäre Clay fast mit Sicherheit in den Händen der Mafia gelandet; er wäre kaum nach Rom abgereist, ohne daß einer von Frankie Carbos Leutnants ihm bei einem Essen glänzende Angebote gemacht hätte. Doch zufällig waren die üblichen Mob-Verdächtigen gerade nicht ganz auf der Höhe, und so konnte, vielleicht zum ersten Mal seit Anfang des Jahrhunderts, ein Boxer mit einer Zukunft wie Cassius Clay sich selbst aussuchen, wer ihn managen und wer ihn finanzieren sollte. Liston war als Sträfling fast zwangsläufig in den Armen der Cosa Nostra gelandet, Clay dagegen verfügte von Beginn an über mehr Mittel und Wege, innere wie äußere.
Die Familie Clay nahm sich eine Anwältin aus dem West End namens Alberta Jones und versuchte zunächst, mit William Reynolds’ Anwalt Gordon Davidson einen Deal auf die Beine zu stellen. »Reynolds hatte so viel Geld, daß er nicht wußte, wohin damit, und seine wahren Motive waren Spaß zu haben und sich hinter diesen einheimischen Jungen zu stellen«, sagte Davidson. »Wir entwarfen einen Vertrag, der auch ein Gehalt für Cassius Clay festlegte, für die damalige Zeit etwas Unerhörtes, sowie eine Treuhand. Bald kam es zu einer Einigung. Doch dann rief Alberta mich an, um mir zu sagen, daß der Deal geplatzt war. Ich war völlig perplex. Ich begriff nicht, warum.«
Das Haupthindernis war Clays Vater; er war gegen JoeMartin, der im Vertrag als Chefsekundant vorgesehen war. Vorgeblich lehnte er Martin ab, weil dieser noch nie einen Profiboxer trainiert hatte; das Entscheidende aber war, daß Clay senior Martin als Verkörperung der Polizei sah, der weißen Louisviller Polizei, die ihn mehr als einmal verhaftet hatte. Der ganze Deal löste sich binnen kurzem in allgemeiner Verstimmung auf. Martin wiederum fand, daß Clay senior sich Verdienste um seinen Sohn zumaß, die er sich gar nicht erworben hatte. »Auf einmal sah es so aus, als hätte der Alte die ganze Arbeit gemacht«, sagte Martin bitter. »Der hat sich doch erst um den Jungen gekümmert, als der dieses Aufsehen erregte. Das ist vielleicht einer. Der hat soviel Gehirn, wie Gott es einer Gans gegeben hat – ungefähr einen halben Teelöffel.«
Bald wußte jeder in Louisville, daß Martin aus der Sache draußen war, und binnen weniger Tage füllte William Faversham Jr., ein ehemaliger Anlageberater, ehemaliger Schauspieler und Sohn eines in England geborenen Marineidols, die Lücke aus. (Reynolds war immer loyal gegenüber Martin gewesen und nicht bereit, Clay ohne Martin als Teil des Pakets zu umwerben.) Faversham war Vizepräsident eines der größten Unternehmen im Umkreis, Brown-Forman Distillers (hier wurden die Bourbons
Old Forrester
und
Early Times
produziert), und er sowie ein paar Freunde aus der Louisviller Geschäftswelt luden die Clays zu einem
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