Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren
Ich untersuche seinen Tod, und es schien mir logisch, hier damit anzufangen. Darf ich mich setzen?«
Er winkte fast nachlässig mit der einen Hand, aber sein Gesichtsausdruck hatte sich verändert. Ich nahm Platz, und Scorsoni setzte sich gerade.
»Ich habe gehört, daß Nikki auf Bewährung draußen ist«, sagte er. »Wenn sie behauptet, sie hätte ihn nicht umgebracht, ist sie verrückt.«
»Ich habe nicht gesagt, daß ich für sie arbeite.«
»Na, sonst würde weiß Gott kein Hahn danach krähen.«
»Mag sein. Sehr erfreut sind Sie anscheinend nicht.«
»Hey, langsam. Laurence war mein bester Freund. Ich wäre für ihn durchs Feuer gegangen.« Sein Blick war direkt und etwas Stachliges lag unter der Oberfläche — Kummer, falsch angebrachter Zorn. Es war schwer zu bestimmen.
»Haben Sie Nikki gut gekannt?« fragte ich.
»Mir hat es genügt.« Die sexuelle Ausstrahlung, die anfangs so spürbar gewesen war, klang ab, und ich fragte mich, ob er sie ein- und ausschalten konnte wie eine Heizung. Jedenfalls war er jetzt auf der Hut.
»Wie haben Sie Laurence kennengelernt?«
»Wir waren zusammen auf der Universität in Denver. Die gleiche Verbindung. Laurence war ein Playboy. Alles fiel ihm zu. Auch das Jurastudium. Er wechselte nach Harvard, ich an die Arizona State. Seine Familie hatte Geld. Meine hatte keins. Ich verlor ihn ein paar Jahre aus den Augen, und dann hörte ich, er hätte hier in der Stadt eine Anwaltspraxis eröffnet. Also kam ich her und sprach mit ihm über die Möglichkeit, für ihn zu arbeiten, und er war einverstanden. Zwei Jahre später machte er mich zum Teilhaber.«
»War er damals mit seiner ersten Frau verheiratet?«
»Jaja, Gwen. Sie ist immer noch irgendwo in der Stadt, aber ich würde sie mit Vorsicht genießen. Sie war furchtbar verbittert zum Schluß, und ich habe gehört, daß sie ihm allerhand nachsagt.«
Er behielt mich im Auge, und ich gewann den Eindruck, er wußte genau, wieviel er mir sagen würde und wieviel nicht.
»Was ist mit Sharon Napier? Hat sie lange bei ihm gearbeitet?«
»Sie war bei ihm, als ich einstieg, hat aber herzlich wenig getan. Zu guter Letzt suchte ich mir eine eigene Kraft.«
»Mit Laurence ist sie gut ausgekommen?«
»Soweit ich weiß. Sie blieb noch, bis der Prozeß vorbei war, dann schob sie ab. Sie hat mich um einiges Geld geprellt, das ich von ihrem Gehalt vorausgezahlt hatte. Falls Sie ihr über den Weg laufen, würde ich es gern erfahren. Ihr eine Rechnung schicken oder so was, nur damit sie weiß daß ich die alten Zeiten nicht vergessen habe.«
»Sagt Ihnen der Name Libby Glass etwas?«
»Wer?«
»Sie war die Buchhalterin, die unten in L. A. Ihre Finanzen betreut hat. Sie arbeitete bei Haycraft und McNiece.«
Scorsoni sah noch einen Augenblick verständnislos drein und schüttelte den Kopf. »Was hat die damit zu tun?«
»Sie wurde ebenfalls mit Oleander umgebracht, genau um die Zeit, als Laurence starb«, sagte ich. Es schien weder besonderen Schrecken noch Bestürzung bei ihm hervorzurufen. Er verzog skeptisch die Unterlippe und zuckte die Achseln.
»Das ist mir zwar neu, aber ich nehme Ihr Wort dafür«, sagte er.
»Sind Sie ihr nie begegnet?«
»Doch, bestimmt. Laurence und ich teilten uns die Schreibarbeit, aber er hatte den meisten direkten Kontakt mit den Prüfern. Hin und wieder habe ich allerdings mitgemischt, also bin ich ihr wahrscheinlich auch irgendwann über den Weg gelaufen.«
»Er soll ein Verhältnis mit ihr gehabt haben«, tippte ich an.
»Ich klatsche nicht gern über Tote«, entgegnete Scorsoni.
»Ich auch nicht, aber herumgespielt hat er doch«, sagte ich behutsam. »Ich will gar kein Aufhebens davon machen, aber im Prozeß haben eine Menge Frauen das bezeugt.«
Scorsoni lächelte den Kasten an, den er auf seinen Kanzleiblock zeichnete. Der Blick, den er mir dann zuwarf, war listig.
»Na, ich kann dazu folgendes sagen: Erstens, der Mann hat sich nie jemandem aufgedrängt. Und zweitens, ich glaube nicht, daß er sich mit einer Geschäftspartnerin eingelassen hätte. Das war nicht sein Stil.«
»Und seine Klienten? Hat er sich mit denen auch nicht eingelassen?«
»Kein Kommentar.«
»Würden Sie mit einer Klientin ins Bett gehen?« fragte ich.
»Meine sind alle achtzig Jahre alt, daher ist die Antwort nein. Ich mache Vermögensverwaltung, er machte Scheidungen.« Er warf einen Blick auf seine Uhr, dann schob er seinen Stuhl zurück. »Ich unterbreche hier ungern, aber es ist jetzt Viertel nach vier,
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