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Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren

Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren

Titel: Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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und ich muß noch einen Schriftsatz vorbereiten.«
    »Entschuldigung. Ich wollte Ihnen Ihre Zeit nicht stehlen. Es war nett, daß Sie mich so kurzfristig empfangen haben.«
    Scorsoni begleitete mich nach vorn, von seinem großen Körper strahlte Wärme aus. Er hielt mir die Tür auf, indem er den linken Arm entlang dem Türrahmen nach oben streckte. Wieder schien dieses kaum verhüllte männliche Tier ihm aus den Augen zu sehen. »Viel Glück«, sagte er. »Ich fürchte, Sie werden nicht viel zutage fördern.«

    Ich holte die großformatigen Glanzfotos von dem Riß im Bürgersteig ab, den ich für die California Fidelity geknipst hatte. Alle sechs Aufnahmen zeigten den geborstenen Beton deutlich. Die Ansprucherhebende, Marcia Threadgill, sprach von fahrlässiger Körperverletzung: Sie sei über die vorspringende Partie des Gehsteigs gestolpert, die teils durch Baumwurzeln, teils durch Erdbewegung herausgedrückt worden war. Sie machte den Inhaber des Kunstgewerbeladens haftbar, zu dessen Grundstück das kaputte Trottoir gehörte. Der Schadenersatzanspruch — ein klassischer Bananenschalenfall — hielt sich in Grenzen: insgesamt etwa 4800 Dollar für Arztkosten, Schmerzensgeld und Verdienstausfall während der Zeit, in der sie nicht arbeiten konnte. Es sah aus, als würde die Versicherung bezahlen, aber man hatte mich angewiesen, doch einmal kurz zu untersuchen, ob der Anspruch nicht trotz allem aus der Luft gegriffen war.

    Miss Threadgills Apartment lag in einem terrassenförmig angelegten Gebäude an einem Hügelhang über dem Strand, nicht allzuweit von meiner Wohnung. Ich parkte sechs Häuser weiter unten und holte mein Fernglas aus dem Handschuhfach. Indem ich mein Kreuz durchdrückte, bekam ich genau ihren Patio ins Visier, und zwar deutlich genug, um zu erkennen, daß sie ihre Farnkräuter nicht so goß, wie sie es sollte. Ich verstehe nicht viel von Zimmerpflanzen, aber wenn das Grünzeug braun wird, dann würde ich das als Wink nehmen. Ein Farn war von der ekelhaften Sorte, die kleine, grau behaarte Pfoten entwickelt, die heimlich, still und leise aus dem Topf rauskriechen. Jeder, der so ein Ding besitzt, neigt wahrscheinlich auch zu Betrügereien, und ich konnte mir genau vorstellen, wie sie mit ihrem angeblich verknacksten Rücken einen 25-Pfund-Sack Farnkompost hochhob. Ich beobachtete ihre Wohnung anderthalb Stunden, aber sie ließ sich nicht blicken. In einer meiner alten Ausbildungsgruppen wurde immer behauptet, daß nur Männer für die Überwachungsarbeit geeignet sind, weil sie in einem parkenden Wagen sitzen und diskret in eine Tennisballdose pinkeln können, womit sie unnötige Abwesenheit vermeiden. Ich verlor das Interesse an Marcia Threadgill und an der Wahrheit; ich mußte pinkeln wie verrückt, also legte ich das Fernglas weg und suchte mir auf dem Rückweg in die Stadt die nächste Tankstelle.

    Ich fuhr noch mal an der Auskunftei vorbei und redete mit dem Kumpel, der mich Akten einsehen läßt, die normalerweise nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Ich bat ihn, mal. zu sehen, was er über Sharon Napier herausfinden könne, und er sagte, er würde sich melden. Ich erledigte ein paar private Besorgungen und fuhr nach Hause. Es war kein sehr befriedigender Tag gewesen, aber andererseits sind die meisten Tage bei mir gleich: prüfen und gegenprüfen, Lücken schließen, Kleinarbeit, die absolut notwendig ist für den Job, aber nicht eben dramatisch. Die Grundeigenschaften jedes guten Ermittlers sind eine Pferdenatur und unendliche Geduld. Die Gesellschaft erzieht uns Frauen unweigerlich seit langem dahin. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und übertrug Charlie Scorsoni auf mehrere Karteikarten. Es war eine verwirrende Unterredung gewesen, und ich hatte das Gefühl, ich war noch nicht fertig mit ihm.

5

    Mit dem Klima in Santa Teresa zu leben, das ist etwa so, als ob man sich in einem von oben ausgeleuchteten Raum aufhält. Das Licht ist gleichförmig — klar und auch hell —, aber die Schatten fallen weg, und ein beunruhigender Mangel an Perspektive entsteht. Die Tage sind eingehüllt von Sonnenschein. Oft ist es zwanzig Grad und trocken. Die Nächte sind gleichbleibend kühl. Saisonbedingt regnet es zwar, doch in der übrigen Zeit gleicht ein Tag weitgehend dem anderen, und der ständig wolkenlose, blaue Himmel hat eine eigentümliche, desorientierende Wirkung, er nimmt einem das Gefühl dafür, wo man im Jahr gerade steht. Der Aufenthalt in einem Gebäude ohne

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