Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief
gestanden hatten, seit 1966 die Duttfrisuren aus der Mode gekommen waren. Rosie hat eine lange Nase, eine kurze Unterlippe und Augen, die sie zu schmalen, mißtrauisch wirkenden Schlitzen schminkt. Sie ist klein, oberlastig und starrsinnig. Außerdem neigt sie zum Schmollen, was bei einer Frau ihres Alters lächerlich, aber effektiv ist. Die Hälfte der Zeit mag ich sie nicht besonders, aber sie hört auch nie auf, faszinierend zu sein.
Ihr Laden hat die gleiche rauhe, aber anziehende Wirkung. Die Theke erstreckt sich längs der linken Wand, einen ausgestopften Speerfisch darüber gewölbt, von dem ich vermute, daß er nie wirklich gelebt hat. Ein großer Farbfernseher steht auf der anderen Seite der Theke und läuft mit abgeschaltetem Ton, so daß die Bilder umhertanzen wie Botschaften von einem anderen Planeten, wo das Leben voller Energie und Verrücktheit ist. Das Lokal riecht immer nach Bier, Zigarettenrauch und Bratfett, das schon vor einer Woche hätte gewechselt werden müssen. Die sechs oder sieben Tische in der Mitte des Raums werden ergänzt durch Eßtischstühle der Chrom- und Plastikkategorie aus den vierziger Jahren. Die acht Sitznischen an der rechten Wand sind aus Sperrholz, das in der Farbe von Walnußholz gebeizt ist. Einige Missetäter hatten geschmacklose Sprüche in das Holz geritzt und es offenbar auch auf der Damentoilette versucht. Möglicherweise kann Rosie nicht genug Englisch, um die wahre Bedeutung dieser primitiven Slogans zu erraten. Genauso gut ist es möglich, daß sie exakt ihre eigenen Gedanken wiedergeben. Schwer zu sagen bei ihr.
Ich sah zu ihr hinüber und entdeckte, daß sie kerzengerade und sehr ruhig dasaß und mit zusammengekniffenen Augen zur Eingangstür starrte. Ich folgte ihrem Blick. Henry war gerade mit seiner neuen Freundin, Lila Sams, hereingekommen. Rosies Antennen waren wohl automatisch ausgefahren, wie bei einem Marsmännchen, das Gefahr wittert. Henry suchte einen einigermaßen sauberen Tisch und zog einen Stuhl hervor. Lila setzte sich und legte sich ihre große Plastiktasche auf den Schoß wie einen kleinen Hund. Sie trug ein leuchtendes Baumwollkleid mit einem geschmacklosen Muster, fetter roter Klatschmohn auf blauem Grund. Ihre Haare sahen aus, als seien sie am gleichen Nachmittag im Schönheitssalon aufgedreht worden. Henry setzte sich und sah sich zu der Nische um, von der er weiß, daß ich gewöhnlich dort sitze. Ich winkte leicht mit dem Finger, und er winkte zurück. Lilas Kopf schwenkte in meine Richtung, und ihr Lächeln nahm den Ausdruck falscher Freude an.
Inzwischen hatte Rosie ihre Abendzeitung beiseite gelegt und ihren Barhocker verlassen und glitt jetzt wie ein Hai hinter der Theke hervor. Ich konnte nur mutmaßen, daß sie und Lila sich bereits kannten. Mit Interesse sah ich zu. Das hier konnte fast so interessant werden wie Godzilla trifft Bambi in meinem Kino um die Ecke. Von meinem Beobachtungsposten aus fand die ganze Begegnung natürlich als Pantomime statt.
Rosie hatte ihren Bestellblock hervorgezogen. Sie stand da und starrte Henry an. Sie benahm sich, als wäre er alleine, wie sie es auch immer mit mir macht, wenn ich einen Freund mitbringe. Rosie redet nicht mit Fremden. Sie sieht nur jemandem in die Augen, den sie schon eine Zeitlang kennt. Das gilt vor allem, wenn diese »Jemands« weiblich sind. Lila war total aufgeregt. Henry beriet sich mit ihr und bestellte für sie beide. Eine große Diskussion entstand. Daraus folgerte ich, daß Lila einen Vorschlag gemacht hatte, der nicht mit Rosies Vorstellungen von ungarischer Feinschmeckerküche zusammenpaßte. Vielleicht wollte Lila keine Peperoni oder etwas gegrillt statt gebraten. Lila sah mir nach der Art Frau aus, die eine Menge Ernährungstabus hat. Rosie hatte nur das eine. Entweder aß man, wie sie es zubereitet hatte, oder man ging woanders hin. Lila konnte offensichtlich nicht begreifen, daß man ihre Wünsche nicht befriedigen wollte. Schrille und zänkische Geräusche kamen auf, alle von Lila. Rosie sagte kein Wort. Es war ihr Lokal. Sie konnte tun, was sie wollte. Die beiden Männer an der Bar, die über Politik diskutiert hatten, drehten sich um, damit sie der Show folgen konnten. Das Paar, das die sonkás palacsinta aß, hielt gleichzeitig inne, die Gabeln mitten in der Luft.
Lila sprang von ihrem Stuhl auf. Einen Moment lang dachte ich, sie wollte Rosie mit ihrer Tasche schlagen. Statt dessen sah es aus, als gebe sie eine verletzende Bemerkung von sich. Dann marschierte
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