Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief

Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief

Titel: Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
Vom Netzwerk:
vorher gegessen, und es war nicht meine Schuld, daß ich jetzt schon wieder Hunger hatte. So wie ich die Sache sah, steckte das Sandwich voller Konservierungsstoffe, und genau die konnte mein Körper jetzt gebrauchen, wenn er nicht krank werden wollte. Er schnitt das erste Meisterstück diagonal durch und reichte mir eine Hälfte. Dann machte er ein zweites Sandwich, das noch reichlicher belegt war als das erste, und schnitt es ebenfalls durch. Geduldig sah ich ihm zu, wie ein gut erzogener Hund, und wartete auf sein Kommando zum Essen.
    Drei Minuten lang saßen wir schweigend da und schlangen unser Mittagessen hinunter. Er öffnete mir erst ein Bier, dann machte er sich ein zweites auf. Ich halte nichts von Miracle Whip, doch in diesem Falle schien es eine Feinschmeckersauce zu sein. Das Brot war so weich, daß unsere Fingerspitzen Beulen an der Kruste hinterließen.
    Zwischen zwei Bissen tupfte ich mir die Mundwinkel mit einer Papierserviette ab. »Ich kenne Ihren Vornamen gar nicht«, sagte ich.
    »Phil. Was ist denn Kinsey für ein Name?«
    »Der Mädchenname meiner Mutter.«
    Und das sollte alles an höflichen Nettigkeiten bleiben, bis wir beide mit einem Seufzer der Erleichterung unsere Teller von uns schoben.

11

    Nach dem Mittagessen saßen wir draußen auf der Veranda in buntgestrichenen Klappstühlen aus Metall, die mit Rost wie mit Pockennarben übersät waren. Die Veranda war eigentlich eine Art Gußbetonbrett und bildete das Dach der Garage, welche in den Berg hineingebaut war. Hölzerne Blumenkübel, mit einjährigen Pflanzen bestückt, standen als niedrige Schutzmauer um den Rand herum. Eine leichte Brise kam auf und hob die schwere Decke aus Sonnenschein an, die sich auf meine Arme gelegt hatte. Phils Streitlust war verflogen. Vielleicht hatten ihn ja die vielen Chemikalien in seinem Essen so besänftigt, obwohl es wahrscheinlich eher an den beiden Bieren und der Aussicht auf eine Zigarre lag, die er gerade mit einem kleinen Abschneider kappte. Er zog ein großes Küchenstreichholz aus einer Dose neben ihm und beugte sich hinab, um es auf dem Boden zum Leben zu bringen. Er paffte an der Zigarre, bis sie zog, wedelte dann das Streichholz aus und warf es in den flachen Zinnaschenbecher. Einen Moment lang saßen wir beide da und starrten hinaus aufs Meer.
    Die Aussicht ähnelte einem Wandgemälde auf blauem Hintergrund. Die Inseln im Kanal, sechsundzwanzig Meilen entfernt, sahen wild und verlassen aus. Auf dem Festland waren die kleinen Strände gerade noch zu erkennen, an denen sich die Brandung wie weiße Spitzenrüschen kräuselte. Die Palmen wirkten nicht größer als junger Spargel. Ich konnte ein paar markante Punkte ausmachen: das Gericht, die High-School, eine große katholische Kirche, ein Theater, das einzige Bürohaus in der Stadt mit mehr als drei Stockwerken. Von diesem Aussichtspunkt aus gab es keinen Hinweis auf viktorianische Einflüsse oder einen der anderen, späteren Baustile, die jetzt mit dem spanischen verschmolzen.
    Dieses Haus, erzählte er mir, war im Sommer 1950 fertiggestellt worden. Er und seine Frau Reva hatten es gerade gekauft, als der Koreakrieg ausbrach. Er wurde eingezogen und mußte zwei Tage nach ihrem Einzug weg. So ließ er Reva mit Stapeln von Kartons zum Auspacken zurück und kehrte vierzehn Monate später mit einer Kriegsverletzung heim. Er ging nicht weiter darauf ein, was es war, und ich fragte ihn nicht, doch hatte er seit seiner krankheitsbedingten Entlassung offenbar nur sporadisch gearbeitet. Sie hatten fünf Kinder, und Rick war das jüngste gewesen. Die anderen waren inzwischen über den ganzen Südwesten verstreut.
    »Wie war er?« fragte ich. Ich war mir nicht sicher, ob er antworten würde. Das Schweigen zog sich hin, und ich fragte mich, ob das die falsche Frage gewesen war. Mir gefiel der Gedanke nicht, das wie auch immer geartete Gefühl von Kameradschaft, das sich zwischen uns aufgebaut hatte, jetzt zerstört zu haben.
    Schließlich schüttelte er den Kopf. »Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll«, erklärte er. »Er war eines dieser Kinder, bei denen man glaubt, daß man niemals auch nur eine Minute lang Probleme mit ihnen haben wird. Immer heiter, machte Sachen, ohne daß man es ihm sagen mußte, hatte gute Noten in der Schule. Dann, als er sechzehn oder so war — sein letztes Jahr auf der High-School — , schien er den Halt zu verlieren. Sein Abschluß war noch in Ordnung, aber er wußte wohl nicht, was er mit sich anfangen sollte. Er

Weitere Kostenlose Bücher