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Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief

Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief

Titel: Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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genau.« Da standen ein paar Einmachgläser mit einer brackigen Flüssigkeit darin, in die man Körperteile eingelegt hatte. Ich fragte mich, ob unter all diesen Lebern, Nieren und Milzen vielleicht auch ein gepökeltes Herz steckte.
    Kelly ging wieder an die Arbeit. »Fantastischer Musiker«, bemerkte er halb vorsichtig, halb respektvoll.
    »Das ist er«, erwiderte ich und lächelte über die Ironie. Ich hatte nie über diesen Kram geredet, und es schien etwas seltsam, es jetzt in einem Autopsieraum zu tun, mit einem Bediensteten des Leichenschauhauses in OP-Kleidung.
    »Was ist aus ihm geworden?« fragte Kelly.
    »Nichts. Als ich das letztemal von ihm hörte, war er in New York. Spielte immer noch seine Musik, war immer noch auf Drogen.«
    Er schüttelte den Kopf. »Gott, dieses Talent, das der Junge hatte. Ich habe ihn nie persönlich gekannt, aber ich habe jede Möglichkeit genutzt, ihn zu sehen. Ich kann nicht verstehen, warum er nicht weitergekommen ist.«
    »Die Welt ist voll talentierter Menschen.«
    »Ja, aber er ist klüger als die meisten. Zumindest sagte man das von ihm.«
    »Schade, daß ich nicht auch so klug war wie er. Ich hätte mir eine Menge Kummer ersparen können«, meinte ich. Tatsächlich hatte diese Ehe, so kurz sie war, die besten Monate meines Lebens enthalten. Daniel hatte damals das Gesicht eines Engels... helle blaue Augen, eine Wolke blonder Locken. Er erinnerte mich immer an die künstlerische Umsetzung eines katholischen Heiligen — mager und schön, asketisch aussehend, mit eleganten Händen und einer bescheidenen Art. Er strahlte Unschuld aus. Er konnte bloß nicht treu sein, konnte seine Drogen nicht sein lassen, konnte nicht an einem Ort bleiben. Er war wild und komisch und korrupt, und wenn er heute wiederkäme, könnte ich nicht dafür garantieren, daß ich ihm einen Wunsch abschlagen würde, egal, was für einen.
    Ich ließ das Gespräch einschlafen, und Kelly, angetrieben durch das Schweigen, sprach schließlich.
    »Was macht Bobby denn jetzt?«
    Ich sah ihn an. Er thronte auf einem hohen hölzernen Hocker, Lappen und Desinfektionsmittel links neben ihm auf der Theke.
    »Er versucht immer noch, sein Leben wieder hinzukriegen«, erwiderte ich. »Er trainiert jeden Tag. Ich weiß nicht, was er sonst noch mit seiner Zeit anfängt. Ich nehme an, Sie haben keine Ahnung, was damals vor sich ging, oder?«
    »Was würde das jetzt noch ändern?«
    »Er sagt, er habe sich in irgendeiner Gefahr befunden, aber sein Gedächtnis ist weg. Solange, bis ich die Lücken gefüllt habe, ist er wahrscheinlich immer noch in Schwierigkeiten.«
    »Warum?«
    »Wenn sie einmal versucht haben, ihn umzubringen, werden sie es vielleicht wieder versuchen.«
    »Warum haben sie es bis jetzt nicht getan?«
    »Ich weiß nicht. Vielleicht denken sie, sie sind sicher.«
    Er sah mich an. »Das ist verrückt.«
    »Hat er sich Ihnen nie anvertraut?«
    Kelly zuckte die Achseln und schien wieder ein bißchen auf der Hut zu sein. »Wir haben nur ein paarmal zusammen gearbeitet. Einen Teil der Zeit, in der er hier war, war ich in Urlaub, und den Rest war ich hier, während er Friedhofsdienst verrichtete.«
    »Besteht die Möglichkeit, daß er ein kleines rotes Adreßbuch aus Leder hiergelassen haben könnte?«
    »Das bezweifle ich. Wir haben hier nicht mal Schließfächer für unser Zeug.«
    Ich nahm eine Visitenkarte aus meiner Brieftasche. »Würden Sie mich anrufen, wenn Ihnen irgend etwas einfällt? Ich wüßte gern, was damals los war, und Bobby würde etwas Hilfe sehr zu schätzen wissen.«
    »Sicher.«
    Ich machte mich auf die Suche nach Dr. Fraker, vorbei an der Nuklearmedizin, den Pflegeräumen, den Büros der örtlichen Radiologengruppe, die alle im Keller lagen. Ich traf Fraker, als er gerade wieder die Treppe herunterkam.
    »Alles klar?« fragte er.
    »Ja, und bei Ihnen?«
    »Ich habe für heute nachmittag eine Obduktion, aber wir können uns ein leeres Büro suchen und uns weiter unterhalten, wenn Sie möchten.« <
    Ich schüttelte den Kopf. »Im Moment habe ich keine weiteren Fragen. Vielleicht werde ich Ihre Hilfe später noch einmal benötigen.«
    »Aber sicher, rufen Sie mich einfach an.«
    »Danke. Das werde ich machen.«
    Auf dem Parkplatz setzte ich mich in meinen Wagen und notierte mir auf ein paar zehn mal fünfzehn Zentimeter großen Karteikarten, die ich im Handschuhfach aufbewahre, Datum, Zeit und die Namen der beiden Leute, mit denen ich gesprochen hatte. Ich hielt Dr. Fraker für eine gute

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