Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief
beschloß, auf meinen Lauf zu verzichten. Zur Hölle damit. Ich nahm ein paar Tylenol mit Kodein, trat mir die Schuhe von den Füßen und kroch in die Falten meiner Bettdecke. Da befand ich mich auch noch, als das Telefon klingelte. Jäh schreckte ich hoch und langte automatisch nach dem Hörer. Mein Appartement war dunkel. Der unerwartete schrille Ton hatte mir einen Adrenalinstoß durch den Körper gejagt, und mein Herz klopfte heftig. Mit Unbehagen sah ich auf die Uhr. Viertel nach elf.
Ich murmelte »Hallo« und fuhr mir mit einer Hand übers Gesicht und durch die Haare.
»Kinsey, hier ist Derek Wenner. Haben Sie schon gehört?«
»Derek, ich schlafe fest.«
»Bobby ist tot.«
»Was?«
»Ich vermute, er hatte getrunken, obwohl wir im Moment nicht mal das sicher wissen. Sein Wagen kam von der Straße ab und prallte gegen einen Baum in der West Glen. Ich dachte, ich sollte Sie informieren.«
»Was?« Ich wußte, daß ich mich wiederholte, aber ich konnte nicht begreifen, worüber er sprach.
»Bobby ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen.«
»Aber wann denn?« Ich wußte nicht, warum das wichtig sein sollte. Ich stellte einfach Fragen, weil ich mit der Nachricht anders nicht fertig wurde.
»Kurz nach zehn. Er war tot, als man ihn ins St. Terry schaffte. Ich muß noch hinfahren und ihn identifizieren, aber es gibt keinen Zweifel.«
»Kann ich irgend etwas tun?«
Er schien zu zögern. »Nun, vielleicht könnten Sie das wirklich. Ich habe versucht, Sufi zu erreichen, aber sie scheint nicht da zu sein. Dr. Metcalfs Personal versucht ihn gerade aufzutreiben, also wird er wahrscheinlich in Kürze hier sein. Vielleicht könnten Sie ja in der Zwischenzeit bei Glen bleiben. Dann kann ich zum Krankenhaus rüberfahren und sehen, was los ist.«
»Komme sofort«, stimmte ich zu und legte auf.
Ich wusch mir das Gesicht und putzte mir die Zähne. Ich sprach die ganze Zeit über mit mir selbst, doch ich fühlte überhaupt nichts. All meine Körperfunktionen schienen zeitweise auszusetzen, während mein Hirn mit den Tatsachen kämpfte. Die Nachricht prallte immer wieder ab. Unmöglich. Nein, nein. Wie konnte Bobby tot sein? Stimmt alles nicht.
Ich schnappte mir eine Jacke, meine Handtasche und die Schlüssel. Dann schloß ich ab, stieg in den Wagen, ließ den Motor an und fuhr los. Ich fühlte mich wie ein gut programmierter Roboter. Als ich in die West Glen Road abbog, sah ich die Einsatzfahrzeuge und fühlte, wie mich ein Frösteln am Ende meiner Wirbelsäule kitzelte. Es war genau in der großen Kurve, einem toten Winkel nahe den »Slums«. Der Krankenwagen war schon fort, aber noch standen Streifenwagen da, deren Funkgeräte in der Nachtluft quäkten. Passanten standen im Dunkeln am Straßenrand, und der Baum, gegen den er gefahren war, wurde von grellem Flutlicht angestrahlt. Der tiefe Schnitt in seinem Stamm sah aus wie eine tödliche Wunde. Der BMW wurde gerade von einem Abschleppwagen abtransportiert. Die Szene wirkte seltsamerweise wie eine Kulisse für Filmaufnahmen. Ich fuhr langsamer und sah mir den Ort mit einem unheimlichen Gefühl von Distanz an. Da ich nicht noch zur allgemeinen Konfusion beitragen wollte und mir Sorgen um Glen machte, fuhr ich weiter. Eine leise Stimme murmelte: »Bobby ist tot.« Eine zweite Stimme sagte: »O nein, so etwas wollen wir gar nicht denken. Ich will nicht, daß es wahr ist, verstanden?«
Ich bog in die schmale Einfahrt und folgte dem Weg, bis er auf dem großen Vorplatz endete. Das gesamte Haus erstrahlte taghell, als sei eine riesige Party im Gange, aber es gab weder ein Geräusch noch waren Menschen oder Autos zu sehen. Ich parkte und ging zum Eingang. Eines der Mädchen öffnete mir wie auf Knopfdruck die Tür, als ich mich näherte. Es trat zurück und ließ mich kommentarlos ein.
»Wo ist Mrs. Callahan?«
Sie schloß die Tür und ging den Flur entlang. Ich folgte ihr. Sie klopfte an die Tür zu Glens Studierzimmer, drehte dann den Knopf um und trat wieder zurück, um mich an ihr vorbei in den Raum gehen zu lassen.
Glen trug einen hellrosa Morgenrock und saß zusammengekauert und mit angezogenen Knien in einem der Ohrensessel. Sie hob den Kopf, ihr Gesicht war verquollen und naß. Sie sah aus, als seien all ihre emotionalen Dämme gebrochen: auslaufende Augen, tränenverwaschene Wangen, triefende Nase. Sogar ihre Haare waren feucht. Einen Moment lang stand ich immer noch ungläubig da und sah sie an, und sie sah mich an, senkte dann wieder den Kopf und
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