Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief
Ich wußte doch, daß ich Sie schon mal gesehen hatte. Ihr Foto war in allen Zeitungen.«
Die Farbe verschwand aus ihrem Gesicht. »Das hat damit nichts zu tun«, behauptete sie.
Ich lachte, vor allem über meine plötzliche Erinnerung. Gedankenblitze müssen irgendein kleines chemisches Element an sich haben, das solche schnellen Vorstöße bewirkt.
»Ach, hören Sie auf«, entgegnete ich. »Natürlich hat es etwas damit zu tun. Ich weiß zwar noch nicht was, aber es ist ein und dieselbe Geschichte, oder?«
Sie sank auf das Sofa zurück und tastete mit einer Hand nach dem Glastisch, um sich abzustützen. Sie atmete tief durch und versuchte, sich zu entspannen. »Sie täten gut daran, die ganze Sache fallenzulassen«, meinte sie dann, ohne mich anzusehen.
»Spinnen Sie?« fragte ich. »Hat Sie Ihr bißchen Verstand jetzt völlig verlassen? Bobby Callahan beauftragte mich, weil er glaubte, daß jemand ihn umzubringen versuchte, und er hatte recht. Jetzt ist er tot und hat keine Möglichkeit mehr, die Sache aufzuklären, aber ich habe sie, und wenn Sie glauben, daß ich vor diesem Arschloch kneife, dann kennen Sie mich schlecht.«
Sie schüttelte den Kopf. Alle ihre Schönheit war verschwunden, und was übrig war, schien fade. Sie sah jetzt aus wie jeder von uns im Neonlicht aussieht — müde, verbraucht. Ihre Stimme war leise. »Ich werde Ihnen sagen, soviel ich kann. Und dann bitte ich Sie darum, die Untersuchung aufzugeben. Das meine ich ernst. Zu Ihrem eigenen Besten. Ich hatte tatsächlich ein Verhältnis mit Bobby.« Sie hielt inne und suchte nach dem Weg, den sie einschlagen wollte. »Er war ein wunderbarer Mensch. Das war er wirklich. Ich war vernarrt in ihn. Er war so unkompliziert, und er hatte keine Vergangenheit. Er war einfach nur jung und kräftig, vital. Mein Gott. Er war dreiundzwanzig. Allein der Anblick seiner Haut. Er war wie ein —« Ihr Blick traf meinen, und verlegen brach sie ab. Ein Lächeln bildete sich und schwankte, diesmal aus irgendeinem Gefühl heraus, das ich nicht interpretieren konnte... Schmerz oder Zärtlichkeit vielleicht.
In der Hoffnung, die Stimmung nicht zu verderben, setzte ich mich vorsichtig nieder.
»Wenn man in seinem Alter ist«, fuhr sie fort, »glaubt man doch, daß sich alles regeln läßt. Man glaubt noch daran, daß man alles haben kann, was man will. Man glaubt, das Leben sei einfach und daß man nur ein oder zwei Kleinigkeiten verändern muß, damit alles anders wird. Ich habe ihm gesagt, daß es für mich nicht so sei, doch er hatte so einen ritterlichen Zug an sich. Süßer Narr.«
Sie schwieg für eine lange Zeit.
»>Süßer Narr< — warum?« fragte ich ruhig.
»Nun, weil er natürlich dafür sterben mußte. Ich kann Ihnen die Schuldgefühle nicht beschreiben, die ich hatte...« Ihre Stimme verlor sich, und sie wandte sich ab.
»Erzählen Sie mir den vorderen Teil. Was hatte Dwight damit zu tun? Er wurde doch erschossen, nicht?«
»Dwight war viel älter als ich. Fünfundvierzig, als wir heirateten. Ich war zweiundzwanzig. Es war eine gute Ehe... zumindest bis zu einem gewissen Punkt. Er betete mich an. Ich bewunderte ihn. Er hat Unglaubliches für diese Stadt getan.«
»Er hat Glens Haus entworfen, nicht wahr?«
»Nicht ganz. Sein Vater war ursprünglich der Architekt, als das Haus in den zwanziger Jahren erbaut wurde. Dwight führte die Restaurierungen durch«, korrigierte sie. »Ich glaube, ich brauche einen Drink. Möchten Sie auch einen?«
»Sicher, gern«, stimmte ich zu.
Sie griff nach der Brandykaraffe und nahm den schweren Glasstöpsel ab. Dann legte sie den Hals der Karaffe an den Rand eines Cognacschwenkers, aber ihre Hände zitterten so stark, daß ich befürchtete, sie könnte das Glas zerbrechen. Ich langte hinüber, nahm ihr die Flasche ab und goß ihr einen guten Schluck ein. Dann machte ich mir selbst einen, obwohl das um zehn Uhr morgens so ziemlich das letzte war, worauf ich Lust hatte. Flüchtig schwenkte sie ihr Glas, und wir tranken beide. Ich schluckte, und automatisch öffnete sich mein Mund, als sei ich gerade in einem Swimmingpool zur Wasseroberfläche aufgetaucht. Dies hier war eindeutig gutes Zeug, aber ich hatte eigentlich nicht vorgehabt, meine Zähne gleich für ein ganzes Jahr reinigen zu lassen. Ich beobachtete, wie sie sich beruhigte, indem sie ein- oder zweimal tief durchatmete.
Verzweifelt versuchte ich mir die Berichte in Erinnerung zu rufen, die ich über den Vorfall gelesen hatte, bei dem Costigan
Weitere Kostenlose Bücher