Kinsey Millhone 05 - Kleine Geschenke
gleichzeitig unruhig und verschlagen und gab sich große Mühe, meinem Blick auszuweichen.
Mac blätterte die Akte durch. Ungeduldig sah er Andy an. »Hast du nichts zu tun?«
»Was? O ja, sicher doch. Ich dachte, Sie wollten, daß ich bei dieser Besprechung anwesend bin.«
»Ich kümmere mich schon darum. Ich bin sicher, daß du ohnehin schon überlastet bist.«
Andy murmelte etwas, so daß es aussah, als wäre sein Abgang seine eigene, prachtvolle Idee gewesen. Mac schüttelte den Kopf und seufzte leise, als sich die Tür schloß. Ich sah zu, wie er den Zigarrenstummel von einem Mundwinkel in den anderen schob. Überrascht blickte er auf, als bemerke er jetzt erst, daß ich dastand. »Bringen Sie mich auf den neuesten Stand?«
Ich erzählte ihm, was bislang geschehen war, erwähnte aber nichts davon, daß die Akte drei Tage lang auf Darcys Schreibtisch gelegen hatte, ehe ich sie erhielt. Es war zwar nicht unbedingt nötig, daß ich sie in Schutz nahm. Aber in meinem Job ist es besser, die Helfer nicht schlechtzumachen. Ich erzählte ihm also, daß ich zwei Filme zum Entwickeln gebracht hatte, daß noch keine Schätzungen vorgenommen worden waren, aber daß es, soweit ich es beurteilen konnte, nach einem Routinefall aussah. Ich überlegte, ob ich ihm von meinem unguten Gefühl erzählen sollte, verwarf die Idee aber, noch während ich sprach. Ich war mir selbst noch nicht klar darüber, was mich beunruhigte, und hielt es für klüger, mich an die Tatsachen zu halten.
Mac runzelte die Stirn, nachdem ich ungefähr dreißig Sekunden lang erzählt hatte, aber was mich beunruhigte, war sein Schweigen, nachdem ich geendet hatte. Mac ist ein Mann, der für gewöhnlich Fragen abfeuert. Er sitzt nur selten da und starrt vor sich hin, wie es jetzt der Fall war.
»Wollen Sie mir nicht sagen, was das zu bedeuten hat?« forderte ich ihn auf.
»Haben Sie die Nachricht gesehen, die vorn an der Akte befestigt war?«
»Welche Nachricht? Da war keine«, widersprach ich.
Er hielt mir ein California-Fidelity-Memo-Formular hin, vielleicht sieben mal zwölf Zentimeter groß und mit Jewels schnörkeliger Schrift bedeckt. »Kinsey... der Fall stinkt nach Betrug. Tut mir leid, daß ich keine Zeit hab’, um Dir alles zu erklären. Aber der Bericht vom Brandmeister ist eigentlich klar. Er sagt, Du kannst ihn anrufen, wenn Du Hilfe brauchst. J.«
»Das hing nicht an der Akte, als ich sie bekommen hab’.«
»Und was ist mit dem Bericht der Feuerwehr? War der auch nicht drin?«
»Doch, natürlich. Das war das erste, was ich gelesen hab’.«
Macs Ausdruck war ernst und bekümmert. Er reichte mir die Akte, die beim Bericht der Feuerwehr aufgeschlagen war. Ich starrte auf das vertraute Formular. Die einleitende Information entsprach genau der, die ich im Kopf hatte. Aber den ausführlichen Bericht hatte ich nie zuvor gesehen. Der Brandmeister, John Dudley, hatte seine Untersuchung mit der nüchternen Bemerkung zusammengefaßt, daß er Brandstiftung vermutete. Der Zeitungsausschnitt, der jetzt der Akte beilag, kam zum selben Schluß.
Ich konnte spüren, wie mein Gesicht heiß wurde, wie sich dann eisige Furcht ausbreitete. Ich sagte: »Das ist nicht der Bericht, den ich gesehen habe.« Meine Stimme hatte eine Tonlage angenommen, die ich kaum erkannte. Mac streckte die Hand aus, und ich gab ihm die Akte zurück.
»Ich bin heute morgen angerufen worden«, erzählte er. »Jemand behauptet, Sie wären gekauft worden.«
Ich starrte ihn an. »Was?«
»Haben Sie dazu was zu sagen?«
»Das ist absurd. Wer hat angerufen?«
»Das soll uns im Augenblick nicht beunruhigen.«
»Mac, hören Sie. Jemand beschuldigt mich eines kriminellen Vergehens, und ich will wissen, wer das ist.«
Er sagte nichts, aber sein Gesicht verschloß sich, zeigte wieder den für ihn charakteristischen sturen Ausdruck.
»Also schön, lassen wir das«, sagte ich. Ich hielt es für besser, erst einmal die ganze Geschichte in Erfahrung zu bringen, ehe ich mir Gedanken über die Beteiligten machte. »Was hat dieser unbekannte Anrufer also gesagt?«
Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, musterte die kalte Asche am Ende seiner Zigarre. »Jemand hat gesehen, wie Sie einen Umschlag von Lance Woods Sekretärin in Empfang genommen haben«, erzählte er.
»Quatsch. Wann?«
»Letzten Freitag.«
Vor meinem geistigen Auge tauchte Heather auf, die mich zurückrief, als ich die Fabrik verließ. »Das war die Inventarliste. Ich hatte Lance Wood gebeten, sie für mich
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