Kinsey Millhone 05 - Kleine Geschenke
bereitzuhalten, und er hat sie in seinen Ausgangskorb gelegt.«
»Welche Inventarliste?«
»Die ist da in der Akte.«
Er schüttelte den Kopf, blätterte alles durch. Von der Stelle aus, an der ich stand, konnte ich sehen, daß nur zwei oder drei lose Blätter auf einer Seite festgeklemmt waren. Da war nichts, was auch nur im entferntesten der Inventarliste ähnelte, die ich beigelegt hatte. Er schaute zu mir auf. »Was ist mit dem Interview mit Wood?«
»Das habe ich noch nicht gemacht. Ein Notfall kam dazwischen, und er ist verschwunden. Ich sollte mich heute mit ihm treffen.«
»Um welche Zeit?«
»Äh, ich weiß nicht. Ich hab’ noch nicht angerufen. Ich habe versucht, erst den Bericht zu tippen.« Es schien mir nicht möglich, den rechtfertigenden Ton aus meiner Stimme zu vertreiben.
»Ist das der Umschlag?« Mac hielt den vertrauten Umschlag mit dem Wood/Warren-Logo in der Hand. Bloß war jetzt eine Nachricht auf die Vorderseite gekritzelt. »Ich hoffe, das reicht vorläufig. Der Rest folgt, wie abgemacht.«
»Verdammt, Mac. Das kann nicht Ihr Ernst sein! Wenn ich mich bestechen lassen würde, warum sollte ich dann den Umschlag in der Akte lassen?«
Keine Antwort. Ich versuchte es noch einmal. »Glauben Sie wirklich, daß Lance Wood mich bestochen hat?«
»Ich glaube überhaupt nichts, ich denke nur, wir sollten die Sache genau überprüfen. Sowohl Ihret- als auch unseretwegen...«
»Wenn ich Geld genommen hätte, wohin ist das dann verschwunden?«
»Ich weiß es nicht, Kinsey. Sagen Sie es mir. Wenn es Bargeld war, dürfte es nicht schwierig gewesen sein, es zu verstecken.«
»Ich müßte ja verrückt sein! Ich wäre ein Idiot, und er auch! Wenn er mich bestechen will, glauben Sie wirklich, er wäre so dämlich, das Geld in einen Umschlag zu stecken und eine Notiz draufzuschreiben, die genau das erklärt? Mac, das ist doch eindeutig eine abgekartete Sache!«
»Warum sollte irgend jemand das tun?« Sein Verhalten war in diesem Augenblick nicht anklagend. Er schien ehrlich erstaunt über diese Idee. »Wer würde sich so viel Mühe machen?«
»Woher soll ich das wissen? Vielleicht bin ich bloß in die Falle getappt. Vielleicht ist Lance Wood das eigentliche Ziel. Sie wissen, daß ich so etwas niemals machen würde. Ich bringe Ihnen meine Kontoauszüge. Sie können alles überprüfen. Sie können auch unter meiner Matratze suchen...« Verwirrt brach ich ab.
Ich sah, wie sich seine Lippen bewegten, aber ich hörte nicht mehr, was er sagte. Ich spürte, wie die Falle um mich zuschnappte, und etwas wurde plötzlich verständlich. Mit der Morgenpost hatte ich eine Nachricht bekommen, daß meinem Konto fünftausend Dollar gutgeschrieben worden waren. Ich glaube, in diesem Augenblick wußte ich, was das zu bedeuten hatte.
4
Ich packte meine persönliche Habe und meine laufenden Akten zusammen. California Fidelity hatte unsere Beziehung für die Zeit aufgehoben, bis die Wood/Warren-Angelegenheit »geklärt sein würde«, was immer das heißen mochte. Ich hatte bis zwölf Uhr Zeit, mein Büro zu verlassen. Ich rief bei der Telefongesellschaft an und bat darum, alle eingehenden Anrufe bis auf weiteres an meinen Privatanschluß weiterzuleiten. Ich zog den Anrufbeantworter aus der Steckdose und legte ihn oben in den letzten Pappkarton, den ich über die Hintertreppe zu meinem Wagen schleppte. Man hatte mich gebeten, die Büroschlüssel abzugeben, ehe ich fortfuhr, aber diese Bitte ignorierte ich. Ich hatte nicht die Absicht, den Zugriff auf Geschäftsakten aufzugeben, die das Ergebnis von fünf Jahren Arbeit waren. Ich glaubte nicht, daß Mac darauf bestehen würde, und ich glaubte ebensowenig, daß sich irgendwer die Mühe machen würde, die Schlösser auszuwechseln. Und wenn schon. Ich weiß sowieso, wie man die meisten knackt.
In der Zwischenzeit analysierte ich bereits die Ereignisse. Die Wood/Warren-Akte hatte das ganze Wochenende über auf meinem Schreibtisch gelegen. Die Berichte der Feuerwehr hatten also jederzeit ausgetauscht werden können. An diesem Vormittag hatte ich anhand von Notizen gearbeitet, ohne mich der Akte selbst zu bedienen. Ich konnte also nicht wissen, ob die Inventarliste noch in der Akte gewesen war oder nicht. Und selbst, wenn ich hineingesehen hätte, wäre mir der Verlust vielleicht nicht aufgefallen. Meine Bürotür und die Balkontüren zeigten keine Spuren eines gewaltsamen Eindringens, aber meine Handtasche mit den Schlüsseln hatte am Freitag drei Stunden lang in Lance
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