Kinsey Millhone 05 - Kleine Geschenke
hin und her, hin und her. Er starrte darauf, warf mir dann einen düsteren Blick zu. »Ich habe eine Schwester, die vor drei Monaten aus Paris zurückgekommen ist. Es geht das Gerücht, sie wolle die Herrschaft über die Fabrik an sich reißen.«
»Ebony?«
Er schien überrascht. »Sie kennen sie?«
»Nicht gut, aber ich weiß, wer sie ist.«
»Ihr mißfällt die Art, wie ich alles leite.«
»So sehr, daß sie etwas Derartiges tun würde?«
Er starrte mich eine Weile an, griff dann nach dem Telefon. »Ich rufe wohl besser meinen Anwalt an.«
»Sie und ich, wir alle beide«, sagte ich.
Ich verließ ihn und kehrte in die Stadt zurück.
Soweit ich wußte, war das Büro des Bezirksstaatsanwalts nicht benachrichtigt worden, war keine Anzeige erstattet worden. Ein gültiger Haftbefehl muß auf einer Anklage basieren, die von Tatsachen getragen wird, die erstens einmal beweisen, daß ein Verbrechen begangen wurde, und zweitens, daß der Informant oder seine Information zuverlässig sind. Zu dieser Zeit hatte Mac nichts weiter als einen anonymen Anruf und ein paar Indizien. Er würde etwas unternehmen müssen. Wenn die Anschuldigung korrekt war, mußte CF geschützt werden. Ich schätzte, daß er meine bisherige Arbeit durchsehen würde, Fall für Fall, um festzustellen, ob auch nur der Hauch eines Fehlverhaltens meinerseits festzustellen war. Außerdem heuerte er vielleicht einen Privatdetektiv an, der Wood/Warren, Lance Wood und möglicherweise auch mich durchleuchten sollte. Eine tolle Idee. Ich fragte mich, wie mein Leben einer professionellen Durchleuchtung wohl standhalten würde. Die fünf Riesen würden bestimmt ans Licht kommen. Ich war mir nicht sicher, was ich in dieser Angelegenheit unternehmen sollte. Die Einzahlung als solche war schon eine verdammte Sache, aber wenn ich jetzt versuchte, das Geld zu bewegen, dann würde das nur noch schlimmer aussehen.
An den Rest des Tages erinnere ich mich nur noch bruchstückhaft. Ich sprach mit Lonnie Kingman, einem Strafverteidiger, für den ich in der Vergangenheit einiges erledigt hatte. Er ist Anfang Vierzig, mit einem Gesicht wie ein Boxer; gebrochene Nase, buschige Brauen. Sein Haar ist zottig, seine Anzüge sehen für gewöhnlich so aus, als wären sie zu eng an den Schultern. Er ist knapp einsfünfundsechzig groß und wiegt wahrscheinlich gute hundert Kilo. Er stemmt Gewichte im selben Fitness-Center wie ich, und dort sehe ich ihn, wie er Kniebeugen macht, und dabei klappern Scheiben von dreihundert Pfund an den beiden Enden der Langhantel wie Wassereimer. Er hat die Stanford Law School mit summa cum laude abgeschlossen und trägt Seidenhemden mit seinem Monogramm an der Manschette.
Anwälte sind Leute, die in den sanftesten Tönen Dinge sagen können, die einen dazu bringen, daß man am liebsten schreien und seine Kleider zerfetzen möchte. Wie Arzte scheinen sie sich verpflichtet zu fühlen, einem das ganze entsetzliche Ausmaß der Katastrophe vor Augen zu führen, auf die man sich möglicherweise gerade zubewegt. Als ich ihm erzählte, was geschehen war, schleuderte er mir zwei weitere denkbare Anklagepunkte entgegen, denen ich mich außer Versicherungsbetrug noch gegenübersehen könnte: daß ich als Mitplanerin von Lance Wood genannt werden und nach Abschluß des Falles als Mittäterin und Helfershelferin bei einer Brandstiftung verurteilt werden könnte. Und das fiel ihm so aus dem Stegreif ein.
Ich spürte, wie ich blaß wurde. »Ich will von diesem Mist nichts hören«, sagte ich.
Er zuckte mit den Schultern. »Nun, darauf würde ich abzielen, wenn ich der Staatsanwalt wäre«, meinte er nur. »Wahrscheinlich fielen mir noch ein paar Sachen mehr ein, wenn ich alle Tatsachen kennen würde.«
»Tatsachen, verdammt. Ich hab’ Lance Wood nie zuvor gesehen.«
»Klar, aber kannst du das beweisen?«
»Natürlich nicht! Wie sollte ich?«
Lonnie seufzte, als haßte er den Gedanken, mich in einem unförmigen Gefängnisgewand zu sehen.
»Verdammt, Lonnie, wieso ist das Gesetz immer auf der Seite der anderen? Ich schwöre bei Gott, immer, wenn ich mich umdrehe, gewinnen die Bösen, und die kleinen Jungs werden von den Raben gefressen. Was soll ich bloß tun?«
Er lächelte. »So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Ich würde dir raten, dich von Lance Wood fernzuhalten.«
»Wie denn? Ich kann mich nicht einfach gemütlich hinsetzen und abwarten, was als nächstes passiert. Ich will wissen, wer mich reingelegt hat.«
»Ich hab’ doch gar nicht
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