Kinsey Millhone 05 - Kleine Geschenke
aufgedrückt zu sein. Ihre Kraft lag in der Tatsache, daß sie nicht den Wunsch hatte zu gefallen, und es war ihr egal, welche Meinung man von ihr hatte. Das Zusammensein mit ihr war anstrengend, und ich war plötzlich zu müde, um etwas zu dem kleinen Lächeln zu sagen, das um ihre Lippen spielte.
Es war 18 Uhr 15. Tee half jemandem wie mir mit einem gesunden Appetit nicht viel weiter. Ich war plötzlich am Verhungern. Von Martini bekomme ich sowieso Kopfschmerzen, und ich wußte, daß ich nach kaltem Zigarettenrauch stank.
Ich entschuldigte mich und machte mich auf den Heimweg, hielt bei McDonald, um einen Viertelpfünder mit Käse und eine große Portion Pommes zu mampfen, dazu eine Cola. Jetzt war nicht die Zeit, meine Zellen mit guter Nahrung zu quälen, dachte ich mir. Zum Schluß nahm ich noch eine von diesen gebackenen Teigtaschen, gefüllt mit heißem Klebstoff, der einem den ganzen Mund verbrennt. Himmlisch!
Als ich zu Hause ankam, verspürte ich dieselbe Melancholie, die ich immer wieder einmal empfunden hatte, seit Henry in sein Flugzeug nach Michigan gestiegen war. Es ist nicht meine Art, mich einsam zu fühlen oder auch nur für einen Augenblick meine Unabhängigkeit zu bejammern. Ich bin gern allein. Ich bin gern Single. Ich finde die Einsamkeit heilsam, und ich kenne ein Dutzend Arten, mich zu amüsieren. Das Problem war, daß mir keine einzige einfiel. Ich werde nicht zugeben, daß ich deprimiert war, aber um 20 Uhr war ich im Bett... nicht gerade toll für eine mutige Privatdetektivin, die einen Ein-Frauen-Krieg gegen alle bösen Männer führt.
10
Um ein Uhr am nächsten Mittag hatte ich Lyda Cases Spur telefonisch bis zur Cocktaillounge im Flughafen Dallas/Fort Worth verfolgt, wo sie gleichzeitig die Bar bediente und mit einer Lautstärke in mein Ohr brüllte, daß ich dachte, ich müßte mein Gehör überprüfen lassen. Im vergangenen Mai war ich gezwungen gewesen, aus einer Mülltonne heraus auf jemanden zu schießen, und seitdem habe ich ständig ein Zischen in den Ohren. Lyda war da nicht gerade eine Hilfe... vor allem, als sie ein grobes Wort sagte, ehe sie den Hörer aufknallte. Ich war zutiefst verärgert. Es hatte mich einige Mühe gekostet, sie ausfindig zu machen, und sie hatte den Hörer an diesem Tag schon einmal einfach aufgelegt.
Ich hatte um 10 Uhr mit einem Anruf bei der Zweigstelle No. 498 der C ulinary Alliance and Bartenders angefangen, aber dort weigerte man sich, mir irgend etwas zu sagen. Mir ist in letzter Zeit aufgefallen, daß Organisationen bei diesen Sachen sauer reagieren. Früher brauchte man die einfach nur anzurufen, eine glaubhafte Geschichte zu erzählen, und schon bekam man die Information, die man haben wollte. Es dauerte nur ein oder zwei Minuten. Heute bekommt man weder Namen noch Adressen oder Telefonnummern. Man bekommt keine Bankauszüge, keine Arbeitsbestätigung, ja, in fünfzig Prozent der Fälle bekommt man nicht einmal eine Bestätigung der Fakten, die man bereits hat. In Schulen, beim Sozialamt oder am örtlichen Gefängnis brauchen Sie es gar nicht erst zu versuchen. Da erfahren Sie rein gar nichts.
»Das fällt unter Datenschutz«, heißt es da. »Tut uns leid, aber das wäre eine Verletzung des Privatlebens unseres Klienten.«
Ich hasse diesen offiziellen Ton, den sie immer annehmen, all diese Angestellten und Empfangsdamen. Es macht ihnen Spaß, Ihnen nicht zu sagen, was Sie wissen wollen. Und schlau sind sie auch noch. Die fallen nicht mehr auf die Tricks rein, die noch vor ein paar Jahren funktioniert haben. Es ist zu hart, um in Worte gefaßt zu werden.
Ich griff wieder auf die Routine zurück. Wenn alles andere nicht klappt, versucht man es beim Einwohnermeldeamt, in der öffentlichen Bücherei oder bei der Kfz-Zulassungsstelle. Die helfen. Manchmal kostet das ein bißchen, aber wen kümmert das schon?
Ich rauschte rüber zur Bücherei und ging die alten Telefonbücher durch, ging Jahr für Jahr zurück, bis ich Hugh und Lyda Cases Eintragung fand. Ich notierte mir die Adresse und fand dann mit Hilfe der Querverweise heraus, wer vor zwei Jahren ihre Nachbarn gewesen waren. Ich rief einen nach dem anderen an und log mich durch, und schließlich erfuhr ich von einem, wie Hugh gestorben war und daß sie glaubten, seine Witwe wäre nach Dallas gezogen.
Es konnte natürlich sein, daß Lyda Case vielleicht nicht eingetragen wäre, aber dann wählte ich doch die Auskunft in Dallas an und erhielt auch sofort ihre Privatnummer. Verdammt, das
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