Kinsey Millhone 05 - Kleine Geschenke
was ich bisher gesehen habe, gefällt mir nicht. Nach allem, was ich weiß, steckst du dahinter oder weißt zumindest, wer es ist.«
»Du nimmst auch kein Blatt vor den Mund, was?«
»Warum sollte ich? Ich arbeite schließlich nicht für dich.«
»Ich habe eine einfache Frage gestellt. Ich verstehe nicht, warum du beleidigt bist.« Sie drückte ihre Zigarette aus, als sie kaum halb aufgeraucht war.
Sie hatte recht. Ich war wütend und wußte selbst nicht recht, warum. Ich holte tief Luft und beruhigte mich. Nicht ihretwegen, sondern meinetwegen. Dann versuchte ich es wieder. »Du hast recht. Ich bin unfair. Ich hätte nicht gedacht, daß ich wütend bin, aber offensichtlich bin ich es. Irgendwie bin ich in eine Familienfehde reingerutscht, und das paßt mir nicht.«
»Was macht dich so sicher, daß es eine Familienfehde ist? Wenn nun jemand dahintersteckt, der nichts mit der Firma zu tun hat?«
»Wer zum Beispiel?«
»Wir haben Konkurrenten, genau wie jeder andere.« Sie nahm einen Schluck von ihrem Martini, und ich konnte sehen, wie sie die eiskalte Flüssigkeit genoß, als sie ihren Mund durchspülte. Ihr Gesicht war schmal, die Züge fein. Ihre Haut war makellos und ohne Falten, was ihr den leeren Ausdruck einer Madame-Alexander-Puppe verlieh. Entweder hatte sie bereits plastische Chirurgie hinter sich, oder sie hatte es irgendwie gelernt, keine Gefühle zu haben, die Spuren hinterließen. Es war schwer, sich vorzustellen, daß sie und Ash Schwestern waren. Ash war sinnlich und offen, mit sonnigem Gemüt, sie war großzügig, gutmütig, entspannt und leicht im Umgang. Ebony war schmal und hart wie eine Peitsche — spröde, zurückhaltend, beherrscht, arrogant. Es war möglich, sagte ich mir, daß die Unterschiede zwischen ihnen teilweise mit ihren unterschiedlichen Positionen in der Familienkonstellation zusammenhingen. Ebony war die älteste Tochter, Ash die jüngste. Woody und Fielen hatten bei ihrem ersten Kind wahrscheinlich Perfektion erwartet. Als sie dann später Ash bekamen, und danach noch Bass, mußten sie es schon aufgegeben haben, überhaupt noch etwas zu erwarten.
Ebony berührte die Olive in ihrem Glas, drehte sie. Sie schob ihren Nagel in das Loch und zog die Frucht heraus, legte sich den grünen Ball auf die Zunge. Ihre Lippen schlossen sich um ihren Finger, und sie gab ein leicht schmatzendes Geräusch von sich. Die Geste wirkte irgendwie obszön, und ich fragte mich plötzlich, ob sie auf mich losgehen würde.
Sie sagte: »Ich nehme nicht an, daß du mir sagen wirst, was Mutter gewollt hat.«
Ich konnte fühlen, wie meine Laune sich wieder verschlechterte. »Redet ihr eigentlich nicht miteinander? Sie hat mich zum Tee eingeladen. Wir haben von alten Zeiten geredet und gelacht. Ich denke nicht dran, anschließend hier raufzulaufen und dir alles zu erzählen. Wenn du wissen willst, worüber wir gesprochen haben, frag sie. Wenn ich weiß, was hier passiert, dann werde ich es dir gerne präsentieren. Bis dahin halte ich es nicht für sehr schlau, rumzurennen und jedem zu erzählen, was ich weiß.«
Ebony war amüsiert. Ich konnte sehen, wie sich ihre Mundwinkel nach oben bogen.
Ich brach ab. »Bereitet dir das irgendwelche Probleme?«
Sie lachte. »Tut mir leid. Ich will nicht herablassend scheinen, aber so bist du schon immer gewesen. All diese Energie. So hitzig und immer zur Verteidigung bereit.«
Ich starrte sie an, wußte nicht, was ich sagen sollte.
»Du bist eine hauptberufliche Detektivin«, fuhr sie freundlich fort. »Das verstehe ich. Ich habe dich nicht gebeten, mir irgendwelche Geheimnisse zu verraten. Es handelt sich hier um meine Familie, und ich mache mir Sorgen, was hier vorgeht. Das ist alles. Wenn ich helfen kann, sag mir bloß wie. Wenn irgend etwas, das du herausfindest, mit mir im Zusammenhang steht, möchte ich das wissen. Ist das so unverständlich?«
»Natürlich nicht. Entschuldige«, sagte ich. Ich ging in Gedanken noch einmal unser Gespräch durch und stieß auf etwas, das sie vorher gesagt hatte. »Du hast erwähnt, der Ärger könnte auch von jemandem außerhalb der Firma ausgehen. Hast du das allgemein gemeint? Oder hast du von jemand Bestimmtem gesprochen?«
Sie zuckte die Schultern. »Eigentlich allgemein, obwohl ich jemanden kenne, der uns bitterlich haßt.« Sie machte eine Pause, als müßte sie überlegen, wie sie ihre Erklärung abfassen sollte. »Da gab es mal einen Ingenieur, der jahrelang für uns gearbeitet hat. Ein Mann namens Hugh Case. Vor
Weitere Kostenlose Bücher