Kinsey Millhone 05 - Kleine Geschenke
Haus. Fehlanzeige.
Ich starrte auf die Telefontastatur, dachte über dieses Modell nach. Vorsichtig drückte ich dann auf den Knopf links von der Null, der mit einem Sternchen versehen war. Auf meinem Apparat bezeichnet »*« die Wahlwiederholung. Und auch dieser hier wählte jetzt die Nummer, die zuletzt eingetippt worden war. Die Ziffern erschienen in grüner Leuchtschrift. Die Nummer kam mir irgendwie bekannt vor, und ich notierte sie. Ich hörte das Rufzeichen. Dreimal. Viermal.
Jemand nahm ab. Es gab ein Surren und eine Pause, als eine Maschine am anderen Ende der Leitung zum Leben erweckt wurde.
»Hallo. Hier spricht Olive Kohler, 555-3282. Es tut mir leid, daß wir nicht hier sind, um Ihren Anruf entgegenzunehmen. Ich bin im Augenblick im Supermarkt, werde aber gegen halb fünf wieder zurück sein. Wenn Sie Ihren Namen und Ihre Nummer hinterlassen, rufe ich Sie gleich nach meiner Rückkehr zurück. Wenn Sie für die Silvesterparty Zusagen möchten, hinterlassen Sie einfach nur Ihren Namen. Wir sehen uns dann heute abend. Bis dann. Tschüs.«
Ich fühlte mein Herz schlagen. Seit Olives Tod hatte niemand die Durchsage geändert, und da war sie wieder, für immer auf den Neujahrstag festgelegt, hinterließ eine mündliche Nachricht, ehe sie fortfuhr, um für die Party einzukaufen, die niemals stattfinden sollte.
Perverserweise drückte ich noch einmal das Sternchen. Viermaliges Klingeln, und Olive nahm ab, ihre Stimme klang hohl, aber voller Leben. Sie wollte immer noch für die Silvesterparty einkaufen fahren, erkundigte sich noch immer nach dem Namen und der Telefonnummer des Anrufers, bat um eine Nachricht. »Bis dann«, sagte sie. Ich wußte, auch wenn ich hundertmal anrufen würde, würde sie immer noch sagen »bis dann«, ohne auch nur zu ahnen, wie endgültig dieser Abschied sein würde.
Andys letzter Anruf hatte ihr gegolten, aber was bedeutete das? Die Erinnerung durchzuckte mich. Ich sah Olive die Haustür aufsperren, die Arme beladen mit Einkaufstüten, die Paketbombe, an Terry adressiert, lag obenauf. Als die Tür aufsprang, läutete das Telefon, und deshalb hatte sie das Paket in solcher Eile hingeworfen. Vielleicht hatte Andy gewußt, daß das Paket vor der Tür liegen würde, und hatte angerufen, um sie zu warnen.
Ich sperrte seine Wohnung zu, stieg in meinen Wagen und fuhr zurück in die Stadt, machte einen kleinen Abstecher, um hastig in einem Fast-Food-Restaurant etwas hinunterzuschlingen. Der nächste logische Ort war das Haus der Kohlers, aber als ich in die Straße einbog, erfüllte mich ein Hauch von Sorge. Natürlich war ich nicht einmal in die Nähe des Hauses gekommen, seit die Bombe hochgegangen war, und ich war nicht wild darauf, das Trauma noch einmal zu durchleben. Ich parkte vor dem Haus und ging vorsichtig durch die Öffnung, die dort in der Hecke klaffte, wo das Tor gewesen war. Nur die Pfosten waren davon übrig, das Schmiedeeisen war verbogen, wo die Wucht der Bombe das schwere Holztor aus den Angeln gehoben hatte. Stellenweise war die Flecke durch die Bombe vollkommen kahl.
Ich näherte mich dem Haus. Sperrholzbretter waren vor die gähnende Öffnung genagelt worden, wo einmal die Haustür gewesen war. Eine der Säulen, die die Veranda trugen, war in zwei Teile gebrochen. Der Gang war versengt, das Gras geschwärzt. Sägeböcke und Warnschilder wiesen die Leute darauf hin, die Rückseite zu meiden. Ich konnte noch immer den schwachen Geruch der Cocktailzwiebeln ausmachen, die den Hof wie Perlen übersät hatten.
Unwiderstehlich wurde mein Blick von der Stelle angezogen, an der Olive wie ein blutiger Haufen gelegen hatte. Ich erinnerte mich, ihr angeboten zu haben, das Paket für sie zu tragen, weil ihre Arme mit Einkaufstüten beladen waren. Ihre beiläufige Ablehnung hatte mir das Leben gerettet. So geht der Tod manchmal an uns vorüber — ohne ein Winken, ein Nicken, nur mit dem Versprechen, ein andermal zu uns zurückzukehren. Ich fragte mich, ob Terry dasselbe schlechte Gewissen hatte wie ich, weil sie an unserer Statt gestorben war.
Ich hielt den Atem an, schüttelte die Arme aus, ging dann auf die Rückseite des Hauses zu. Ich klopfte an die Hintertür, spähte unter meiner Hand durch die Scheibe, um zu sehen, ob Terry oder die Haushälterin drinnen waren. Kein Zeichen. Ich wartete, klopfte dann noch einmal. In der unteren rechten Ecke des Küchenfensters klebte das Schildchen einer Alarmgesellschaft. »Armed Response« stand darauf. Ich trat zurück, um alles
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