Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass
schien jetzt in Auseinandersetzungslaune. Vielleicht wollte sie ja etwaigen Annäherungsversuchen entgegenwirken. »Wie hast du von der Sache gestern Nacht erfahren?«
»Dawna hat mich angerufen und mir noch einen Teil erzählt, bevor die Bullen sie geschnappt haben. Wer ist der Kerl?«
»Welcher Kerl?«
»Der Kerl, der Chago erschossen hat.«
»Woher soll ich das wissen? Irgendjemand, der in der Kneipe saß und eine Pistole dabei hatte.«
»Dawna hat gesagt, du warst mit ihm zusammen dort.«
»Ich war allein.«
»Sie sagt was anderes.«
»Hat sie das wirklich behauptet? Das ist erstunken und erlogen. Wie soll er denn ausgesehen haben? Hat sie dir das gesagt?«
»Dazu ist sie nicht mehr gekommen. Ein Bullenauto ist vorgefahren, und sie hat aufgelegt. Eine Frau war auch noch dabei, hat sie gesagt.«
»Da hat sie dir was vorgesponnen. Dieses Miststück! Ich war ganz allein da, als Chago plötzlich mit der Kanone aufgetaucht ist. Vielleicht war der Typ ja ein Bulle nach Feierabend, oder einfach nur einer von diesen Normalbürgern, die eine Pistole mit sich rumschleppen.«
Raymonds Gesicht färbte sich dunkler. »Das wär’ ja wohl die Höhe. Was ist bloß mit den Leuten los? Es rennen einfach zu viele Idioten mit einer Knarre rum.« Er drehte sich zu mir um. »Jeden Tag steht was in der Zeitung, dass sie wieder jemand umgelegt haben. In der L. A. Times. Lesen Sie auch den Polizeibericht? Angst und bange kann einem da werden.« Er blockte mögliche Entgegnungen mit erhobener Hand ab. »Da tönen diese Leute rum, von wegen »Waffen töten keine Menschen. Menschen töten Menschen.»So ein verdammter Blödsinn.«
»Luis hat ja auch eine Pistole«, steuerte ich bei.
»Das ist was anderes. Er ist ein Profi. Er ist so was wie ein Leibwächter. Aber man kann doch nicht zulassen, dass irgend so ein Arschloch in einer Kneipe einfach losballert und meinen Bruder abknallt.«
Dieser Mann hatte sie wirklich nicht alle. Ich guckte stur geradeaus und hielt den Mund, weil ich daran dachte, was Bibianna mir über seine Wutausbrüche gesagt hatte.
Raymond wandte sich jetzt Bibianna zu und fing an, sie zu küssen und dabei mit einer Hemmungslosigkeit ihre Brüste zu bearbeiten, die mir höchst peinlich war. Sie ließ ihn gewähren, signalisierte mir aber über seine Schulter hinweg augenrollend ihre Verzweiflung. Ich sah aus dem Fenster.
Ich beugte mich vor, tippte Luis auf die Schulter und kramte den einzigen spanischen Satz hervor, den ich kenne. »Äh... habla usted inglés ?«
»Was soll der Quatsch? Seh ich aus wie ein Idiot?«, knurrte er. Sein Englisch war völlig akzentfrei, und ich fragte mich, ob sein Schläger-Outfit vielleicht nur Kostümierung war.
»Oh, äh, könnten Sie vielleicht an der Ecke dort kurz mal halten und mich rauslassen? Ich muss dringend telefonieren.«
Aber die freundliche Bitte zeitigte nicht das gewünschte Ergebnis.
Ich bemühte mich um einen möglichst lockeren Ton, als ich mich jetzt zu Raymond wandte und mich dicht an sein Ohr beugte. »Entschuldigen Sie bitte, Raymond, aber könnten Sie diesem Menschen sagen, er soll mich hier rauslassen?«
Raymond hatte Bibiannas Rock hochgeschoben und war jetzt mit einem Finger unter dem Rand ihres Slips zugange. Es hatte nichts auch nur entfernt Erotisches. Er reklamierte seine Rechte. Ich hörte sie flüstern: »Toll... Oh, Baby, das ist Wahnsinn.« Sie tat alles, um ihn zu beschwichtigen und seinen Drang zu besänftigen. Der Typ am Steuer fing im Rückspiegel meinen Blick auf und zwinkerte mir verschwörerisch zu. Er stellte das Autoradio an, um die eskalierende Lautkulisse zu übertönen. Salsa-Rhythmen erfüllten den Wagen. Das Ganze war einfach widerlich.
Ich war fest entschlossen, mich aus dem Wagen zu werfen und eine Gehirnerschütterung und Knochenbrüche zu riskieren, nur um diesem Bordell aus Plüsch und Devotionalien zu entkommen. Ich wartete, bis Luis langsamer fahren musste, weil wir an die Auffahrt zur Schnellstraße kamen, und schob dann unauffällig meine Hand unter den Türhebel. Ich zog. Nichts. Die hinteren Fensterkurbeln waren beide abmontiert. Ich lehnte den Kopf an die getönte Scheibe und starrte hinaus. Ich hörte, wie Raymond hinter mir an seiner Gürtelschließe und seinem Reißverschluss fummelte. Das war ja schlimmer als ein Porno-Video. Ich drehte mich um und starrte sie an.
»Himmelherrgott, Bibianna «, sagte ich laut. »Wie rücksichtsvoll! Was glaubst du, wie ich mich fühle, wenn ich hier danebensitzen darf,
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