Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass
heiraten.«
»Heute?«
Er schüttelte den Kopf. »Aber bald. War ja schon alles fix und fertig organisiert, aber sie hat gesagt, sie sei noch nicht so weit. Und eh ich mich’s verseh’, ist sie auf einmal abgehauen. Einfach so. Ohne mir auch nur einen Zettel zu hinterlassen. Eines Morgens wach’ ich auf, und sie ist weg...«
Bibiannas Gesicht war bleich und eingefallen. »Tut mir Leid. Ich wollte dich nicht verletzen, Raymond, aber was sollte ich denn machen? Was sollte ich dir denn sagen? Ich hab’s doch versucht...«
Er hob den einen Zeigefinger an die Lippen und richtete ihn dann vorwurfsvoll auf sie. »Du kannst einen Mann nicht einfach so sitzen lassen, Bibianna.« Er wandte sich mir zu, hob theatralisch die Handfläche zum Himmel und rechtfertigte sich: »Ich liebe diese Frau, schon seit — wie lang ist das jetzt schon? Sechs Jahre? Acht? Was soll ich denn mit ihr machen, he?«
Bibianna schwieg. Ihre Augen waren voller Angst. Ich konnte die Veränderung kaum fassen, die mit ihr vorgegangen war. Ihre ganze Selbstsicherheit, ihre Energie, ihre sexuelle Ausstrahlung — alles wie weggeblasen. Mein Mund wurde ganz trocken, und eine leise Angst kitzelte mich im Kreuz.
Wir waren jetzt bei dem Wagen angekommen. Ein zweiter Mann stieg aus, ein Latino mit einer bis über die Ohren heruntergezogenen dunklen Strickmütze. Seine Augen waren schwarz und so stumpf und trüb wie alte Farbflecken. Er hatte Aknenarben auf den Backen und einen Schnauzer aus etwa vierzehn Haaren, von denen einige aussahen wie von Hand aufgemalt. Er war etwa so groß wie ich. Er trug scharf gebügelte Khakihosen mit unzähligen Knitterfalten im Schoß und ein makellos weißes Unterhemd. Büschel von geradem, dunklem Haar lugten unter seinen Achseln heraus. Seine bloßen Arme waren muskulös und trugen Tätowierungen, die von der Schulter bis zum Handgelenk reichten — rechts einen gut getroffenen Donald Duck, links Daffy Duck.
»He, das verstößt aber gegen das Copyright«, sagte ich, vor Angst schon fast übermütig.
»Das ist Luis«, sagte Raymond.
Er hatte eine Pistole. Er riss den hinteren Wagenschlag auf wie ein perfekter Chauffeur.
Bibianna stemmte sich mit einem Arm gegen den Wagen. »Ich geh’ nicht ohne Hannah.«
Raymond guckte verblüfft. »Warum nicht?«
»Sie ist meine Freundin, und ich will, dass sie mitkommt«, sagte sie.
»Aber ich kenn’ sie doch gar nicht«, sagte er.
Bibiannas Augen blitzten auf. »Verdammt noch mal! So bist du immer, Raymond! Du sagst, du liebst mich. Du sagst, du tust alles, was ich will. Und wenn ich dich dann mal um was bitte, kommst du immer mit irgendwelchen Abers. Ich hab’ es einfach satt!«
»Okay, schon gut. Sie kann mitkommen, wenn sie mag. Ganz wie du willst.«
Bibianna sah mich an, in den Augen ein stummes Flehen. »Bitte. Nur für ein paar Tage.«
Ich hörte mich achselzuckend sagen: »Ich hab’ nichts weiter vor.«
Bibianna stieg zuerst ein und rutschte auf die andere Seite durch. Raymond zwängte sich neben sie. Ich zögerte kurz und fragte mich, ob es wirklich so klug war, was ich da tat.
Luis drehte die Pistole so, dass sie auf meine Brust zeigte. Das beschleunigte meinen inneren Klärungsprozess gewaltig.
Ich glitt auf den Rücksitz. Das Armaturenbrett war mit weißem Plüsch bezogen, auf dem quer über die ganze Breite in Maschinenstickerei »Raymond und Bibianna« stand. Vom Rückspiegel baumelten ein Rosenkranz und ein blutendes Herz Jesu. Das ganze Wageninnere, einschließlich Vorder- und Rücksitzen, war mit weißem Kunstfaser-Teddystoff bezogen. Vorn war ein Autotelefon eingebaut. Es fehlte nur noch eine Sammlung von nickenden Figürchen auf der Hutablage... oder eine Mini-Jungfrau Maria mit Magnetfüßchen. Schon in der Sekunde, als ich einstieg, wusste ich, dass ich einen Fehler gemacht hatte.
Luis ließ wortlos den Motor an. Das Auspuffgeräusch beim Anfahren klang wie ferne Presslufthämmer. Er hielt das Steuerrad mit gestreckten Armen und saß ganz zurückgelehnt. Er wendete und raste in Richtung Schnellstraße. Raymonds Zuckungen kamen in Abständen von etwa drei Minuten, manchmal auch weniger. Zuerst beängstigte es mich, zumal niemand ein Wort darüber verlor. Die anderen schienen es als selbstverständlich hinzunehmen. Ich fuhr anfangs jedes Mal zusammen, wenn es losging, merkte dann aber mit der Zeit, dass ich mich daran gewöhnte und nur noch darüber staunte, dass jemand mit so was leben musste. Konnte man denn nichts dagegen tun?
Bibianna
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