Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass
was ist denn mit dir los!«
Raymond massierte sich die Faust und schien langsam wieder zu sich zu kommen. Luis und der Hund verschwanden. Mein Herz begann mit leichter Verspätung, wie wild zu hämmern. Raymond atmete schwer. Ich sah das Kopfrucken. Er vollführte seine Lockerungsbewegungen mit dem rechten Arm und rollte den Kopf um seine Achse. Die Spannung im Raum wich.
Raymonds Augen erfassten Bibianna, die ihn in seinen Sessel drückte, indem sie sich auf seine Schultern stützte. Sie setzte sich jetzt rittlings auf seinen Schoß und nahm ihn mit ihren makellosen Beinen in die Zange. Es war genau die gleiche Position, in der ich sie vorgestern Abend mit Tate gesehen hatte. Kaum zu glauben, dass das noch keine achtundvierzig Stunden her war.
Raymond starrte sie an. »Was ist los? Was ist passiert?«
»Nichts. Alles okay«, sagte sie knapp. »Luis ist mit dem Hund rausgegangen.«
Es war vorbei. Allmählich erkannte ich die Stimmungsumschwünge. Der Wutausbruch hatte seine sexuellen Gelüste stimuliert. Aber noch ehe er ihr mit den Händen die Schenkel hinauffahren konnte, saß sie von ihm ab wie von einem Pferd. Sie zupfte ihre Shorts zurecht und ging zum Fernseher, um sich das Kartenspiel zu schnappen. »Spiel mit mir Gin-Romme«, sagte sie. »Jeder Punkt fünf Cents.«
Raymond lächelte und tat ihr den Gefallen, wohl in der Überzeugung, dass er sie später schon noch kriegen würde.
Als Luis mit dem Hund zurückkam, lieh mir Bibianna ein Paar Jeans, ein T-Shirt und Tennisschuhe, damit wir essen gehen konnten. Wir marschierten alle vier in die deprimierende Einkaufszone, die gleich an den Apartment-Komplex angrenzte. Wir überquerten ein unbebautes Grundstück und gelangten durch den Hintereingang in ein Restaurant namens El Polio Norteno, was ich mir mit »Das Nordhuhn« übersetzte. Das Lokal war laut, mit PVC-Fliesen auf dem Fußboden und Plastik-Täfelung an den Wänden. Es war eng, fast schon beklemmend mit den Gas-Grillgeräten im Hintergrund. An den Drehspießen steckten unzählige Hühner, braun und saftig, die Haut kross und glänzend von brutzelndem Fett. Die Geräuschkulisse war eine Strapaze: Mariachi-Musik, begleitet vom unregelmäßigen Wummern der Hackebeile, die die ganzen Hühner in Hälften und Viertel zerteilten. Das Speisenangebot war einer Tafel hinter der Kasse zu entnehmen. Wir bestellten am Tresen, nahmen unsere vier Bier gleich mit und fahndeten nach einem freien Platz. Der Raum war gerammelt voll, und die Gäste quollen bis auf eine improvisierte Holzbohlenterrasse, die vergleichsweise eine Offenbarung war. Hier herrschte weniger Lärm, und die kalte kalifornische Abendluft schien mir die reinste Erholung. Nach wenigen Minuten erschien die Serviererin mit unseren Bestellungen auf einem Tablett. Die Gedecke bestanden aus Papptellern und Plastikbesteck. Wir rissen das Huhn mit den Händen auseinander, häuften die Fleischhetzchen aufweiche Maistortillas und löffelten Pinto-Bohnen und frische Salsa darüber. Es war eine Orgie der fettigen Hände und schmierigen Kinne. Als wir fertig gegessen hatten, übersiedelten wir in eine Bar zwei Häuser weiter. Inzwischen war es neun.
Das Aztlan war verraucht, stickig, schlecht beleuchtet und fast ausschließlich von männlichen Latinos bevölkert, deren Blicke aufgrund des üppigen Alkoholkonsums um diese Zeit schon leicht verschwommen waren. Gelächter entlud sich in heiseren Salven. Es klang hinterhältig, aggressionsgeladen und bedrohlich. Unter einer dünnen Deckschicht der Kontrolle gärte Gewalt. Die spanische Musik war so laut aufgedreht, dass Verständigung nur durch ein Gebrüll möglich war, dessen gereizte Untertöne auch die ostentative Fröhlichkeit nicht zu überdecken vermochte. Ich orientierte mich an Bibianna, die wachsam und vorsichtig wirkte und ihre Sexualität unter Verschluss hielt. Nichts von dem vertrauten Geplauder und Gescherze, das ich vorgestern Abend gesehen hatte. Raymond war zu leicht erregbar und hätte ihre Intentionen womöglich missverstanden. Luis schien sich hier ganz zu Hause zu fühlen. Er schlenderte mit seinem Macho-Gang zur Bar, und vor seinem schneeweißen Unterhemd waren seine bloßen Arme eine Art Zeichentrickfilm: Daffy Duck und Donald Duck in aggressivem Schwarz und Gelb.
Während Luis eine weitere Runde Bier holte, kämpften wir uns durch das Gedränge in die hinteren Regionen. In einem zweiten Raum, der etwa halb so groß war wie der erste, standen drei Pool-Billard-Tische, zwei davon
Weitere Kostenlose Bücher