Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass
sein, aber das war mir im Moment egal. Vielleicht konnte ich mir ja einen ruhigen Tag auf dem Badfußboden machen, den Kopf über der Kloschüssel.
Wir verließen das Lokal um zwei Uhr. Draußen trennten wir uns von Tate. Ich war einfach nur froh, dass wir den Abend heil überstanden hatten, ohne Schlägerei, ohne Streit, ohne Tränen. Luis verließ uns vor dem Haus, um mit dem Cadillac davonzubrummen. Ich ging vor Raymond und Bibianna die Treppe hinauf und wartete oben, bis Raymond aufgeschlossen hatte. Der Hund lag hinter der Tür wie ein Wachsoldat und hob, als ich an ihm vorbeiging, den breiten, knochigen Kopf, um mich anzusehen. Wenigstens hatte er so viel Anstand zu knurren.
Ich verschwand in meinem Zimmer, schlüpfte in mein Nachthemd und ging ins Bad. Die Tür zum großen Schlafzimmer war geschlossen. An der Art, wie Raymond Bibianna angeschaut hatte, war deutlich abzulesen gewesen, dass sein Begierdepegel wieder einmal einen Höchststand erreicht hatte. Um des lieben Friedens willen würde sie sich wohl fügen müssen. Sie tat mir Leid. Was konnte schlimmer sein, als mit jemandem schlafen zu müssen, mit dem man gar nicht zusammen sein wollte, nur weil man in einer Situation gefangen war, die einem die Intimität aufzwang? Ich wusch mir das Gesicht und putzte mir die Zähne, knipste das Badlicht aus und tappte barfuß zurück in mein Zimmer. Ich öffnete eins der Fenster, beugte mich hinaus und sah noch einmal die Straße entlang, erst in die eine Richtung, dann in die andere. Nichts regte sich. In der Stille der Nacht und im hellen Mondenschein kann selbst die Armut noch Reize entfalten. Das Schäbige wirkt rein und sauber, das Kaputte heil. Der asphaltierte Bürgersteig schimmerte silbern, die Straße ein paar Nuancen dunkler. Ein Auto fuhr langsam vorbei. Jimmy Tate? Trieb ihn der Gedanke um, dass Bibianna mit einem andern schlief? Ich musste an Daniel denken, meinen Ex-Mann Nummer zwo, dessen Seitensprünge mir solche Qualen bereitet hatten. Später, wenn die Liebe tot ist, kann man sich kaum noch vorstellen, dass einem das so zugesetzt haben soll.
Von drüben hörte ich gedämpftes Bummern: das gegen die Wand schlagende Kopfteil des Riesenbetts. Ich richtete mich auf, schlagartig stocknüchtern, weil ich begriff, dass dies die ideale Gelegenheit war, ein Stück Arbeit getan zu kriegen. Ich musste mich nur beeilen. Ich schälte mich aus dem Nachthemd, fuhr in meine Jeans, zog mir ein T-Shirt über den Kopf, schlüpfte barfuß in Bibiannas Tennisschuhe und band sie hastig zu. Dann entriegelte ich das Schiebefenster. Ich schob es auf, ohne verhindern zu können, dass der Alu-Rahmen laut die Schiene entlang schrappte.
Die Nachtluft war kalt, und ein leichter Wind strich mir übers Gesicht. Der Durchgang zwischen den Häusern sah dunkel und verlassen aus. Es roch nach Smog und salziger Seeluft, eine berauschende Mischung. Ich stemmte mich auf die Fensterbank hoch und kletterte nach draußen auf den metallenen Verbindungssteg zwischen den Feuertreppen. Der Alkohol, den ich intus hatte, sedierte alle Angst, die ich sonst vielleicht gespürt hätte. Mein Herz pumpte wie wild, und der Effekt war ein enormer Energieschub. Es war ein elektrisierendes Gefühl, etwas zu tun, endlich wieder aktiv zu sein nach all der erzwungenen Passivität.
17
Meine Tennisschuhe machten fast kein Geräusch, als ich mich an Raymonds dunklem Fenster vorbeischlich. Ich hielt den Atem an, aber die zugezogenen Schlafzimmervorhänge strafften sich immer noch rhythmisch unter dem Zug des wackelnden Bett-Kopfteils. Ich tastete mich die Treppe hinunter, wobei das Metall unter meinen Gummisohlen leise klapperte. Unten blieb ich erst mal kurz stehen, um mich zu orientieren. Ich befand mich im schützenden Schatten des Apartment-Komplexes. Es war gleich drei Uhr morgens. Die Straße lag verlassen da, die Nachbarschaft in Stille gehüllt. Selbst auf dem großen Boulevard einen halben Block weiter fuhren nur sporadisch Autos. Der Mond stand hoch und voll über den Häusern. Die Lichter der City von Los Angeles warfen einen aschfahlen Schein an den Himmel, der die Sterne verblassen ließ. Je mehr meine Augen sich an das Dunkel gewöhnten, desto deutlicher nahm ich die klare, bleiche Helligkeit des Mondlichts wahr. Ich trat aus dem Durchgang zwischen Raymonds Haus und dem Nachbargebäude und wandte mich nach links und überquerte, mich immer schön im Schatten haltend, die Straße in Richtung Schrottplatz. Ich tastete mich am Zaun entlang,
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