Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist
Bronfen-Interview die meine gewesen war. Dietz geriet zunehmend in Arbeitseifer, seine Energie wurde deutlicher spürbar, seine Unruhe größer. Er fing an, mit den Fingern der rechten Hand gegen den linken Handteller zu schnippen. »Wann haben Sie das letzte Mal mit ihm gesprochen?«, fragte er.
»Mit Mark? Vor acht Monaten. Im Oktober, er hat Eric vom Hort abgeholt und nach Colorado mitgenommen, angeblich übers Wochenende. Kurz darauf hat er mich angerufen und gesagt, dass er ihn nicht mehr zurückbringt. Er erlaubt dem Jungen ab und zu, mit mir zu telefonieren, aber immer nur von einem Münzapparat, und die Gespräche sind zu kurz, um sie zurückzuverfolgen. Jetzt weiß ich zum ersten Mal, wo er sich tatsächlich aufhält. Ich will mein Kind wieder haben.«
»Das verstehe ich«, sagte Dietz. »Wir haben erfahren, dass Mark hier in der Gegend Verwandte hat. Wissen die vielleicht, wo er ist?«
Sie lächelte verächtlich. »Das ist verdammt unwahrscheinlich. Sein Vater hat ihn vor Jahren an die Polizei verraten, und seine Mutter ist tot. Er hat zwar eine Schwester, aber ich glaube, die beiden reden nicht miteinander. Als er sich das letzte Mal bei ihr meldete, hat sie ihn angezeigt.«
»Keine anderen Verwandten? Freunde, mit denen er möglicherweise versucht hat, in Verbindung zu treten.«
Sie schüttelte den Kopf. »Er ist ein absoluter Einzelgänger und traut keiner Menschenseele.«
»Haben Sie einen Vorschlag, wie man ihm auf die Spur kommen könnte?«
»Aber ja doch. Rufen Sie alle großen Hotels an. Die Polizei wollte nach dem Raub in der Goldbörse von mir wissen, wo er steckt. Er muss Geld wie Heu haben, und glauben Sie mir, er versteht es, gut zu leben. Er sitzt bestimmt in einem erstklassigen Hotel irgendwo in der Stadt.«
»Haben Sie ein Telefonbuch?«, fragte Dietz.
Rochelle ging zum Nachtschränkchen und öffnete eine Schublade. Dietz setzte sich auf die Kante des überbreiten Bettes und schlug die gelben Seiten auf. Ich merkte, dass er nach einer Zigarette lechzte. Wäre ich Raucherin gewesen, hätte ich mir jetzt bestimmt auch gern eine angesteckt. Es war dasselbe Bett, in dem ich im Weihnachtsurlaub meinen Exmann mit einer anderen ertappt hatte. Das war vielleicht ein frohes Fest gewesen...
Dietz sah mich an. »Wie viele große Hotels gibt es?«
Ich überlegte kurz. »Höchstens drei oder vier, die ihm Zusagen würden«, sagte ich und wandte mich dann an sie: »Wird er unter seinem richtigen Namen dort absteigen?«
»Das bezweifle ich. Wenn er unterwegs ist, benutzt er gewöhnlich einen seiner Falschnamen. Mark Darian oder Darian Davidson sind ihm die liebsten, falls er nicht einen ganz und gar neuen hat, den ich nicht kenne.«
Dietz blätterte in den gelben Seiten bis zum Hotel- und Motelverzeichnis.
»He, Dietz!«
Er sah zu mir auf.
»Ich würde es zuerst im Edgewater versuchen. Vielleicht war es einfach ein blöder Zufall, dass er gestern Abend bei dem Bankett aufgetaucht ist.«
Er starrte mich einen Moment an, dann begriff er meine Logik und lachte. »Das ist gut, das gefällt mir.« Er suchte die Nummer heraus, tippte sie ein und konzentrierte sich, als am anderen Ende jemand abnahm. »Kann ich Charles Abbott von der Sicherheit sprechen? Ja, danke. Ich bleib dran.« Dietz legte die Hand über das Mundstück und nutzte die Zeit, um Rochelle über alles ins Bild zu setzen, was bisher passiert war. Plötzlich unterbrach er sich. »Mr. Abbott? Robert Dietz. Wir haben gestern über die Sicherheitsmaßnahmen bei dem Bankett gesprochen... Richtig. Tut mir Leid, Sie noch einmal zu belästigen, aber ich muss Sie um einen Gefallen bitten. Könnten Sie vielleicht nachsehen, ob ein bestimmter Gast bei Ihnen abgestiegen ist. Er heißt Mark Darian oder Darian Davidson oder benutzt irgendeine andere Variation dieses Namens. Derselbe Mann. Wir glauben, dass er seinen kleinen Jungen bei sich hat. Klar...«.
Anscheinend sollte Dietz wieder dranbleiben, bis Charles Abbott sich am Empfang erkundigt hatte. Dietz wandte sich Rochelle zu und fuhr mit seinem Bericht fort. Sie konnte ihm offenbar mühelos folgen. Ich beobachtete sie und begriff allmählich, wie fertig sie war, obwohl sie sich äußerlich so gelassen gab. Sie gehörte zu den Frauen, die wahrscheinlich nicht aßen, wenn sie unter Stress standen, die dann praktisch von Kaffee und Tranquilizern lebten. Ich hatte Mütter wie sie schon früher gesehen — meist strichen sie im Zoo hinter Gitterstäben hin und her. Auch wenn sie scheinbar
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