Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist
Pappmenschen — offiziell B-27, menschliche Silhouette — als Zielscheibe auf. Ich hatte mit der Davis über eine Entfernung von fünfundzwanzig Metern geübt, aber Dietz schüttelte nur den Kopf. »Eine .32er ist für Selbstverteidigung in einem Umkreis von fünfzehn — besser zehn Metern angelegt. Die Patrone muss tief genug eindringen, um an lebenswichtige Organe und Blutgefäße zu kommen, und zwar acht bis zehn Zoll. Die Silvertip hat da eine bessere Chance als alle anderen.«
»Hübscher Beruf, den wir haben«, sagte ich.
»Was glauben Sie denn, warum ich aussteige?«
Ich lud meine kleine Davis, während er mir eine Technik erklärte, die er Mosambik-Drill nannte: Pistole geladen, Patrone in der Kammer, Waffe gesichert, Finger nicht am Abzug, Mündung in einem Winkel von fünfundvierzig Grad nach unten gerichtet. »Reißen Sie die Pistole hoch in Schussposition, und feuern Sie zweimal schnell hintereinander in der Höhe des Brustbeins in die Brust. Dann kurze Blickkontrolle, wohin Sie getroffen haben, und dann feuern Sie ein drittes Mal — und diesmal sorgfältiger gezielt — auf den Kopf. Genau hierher.« Er zeigte auf die Augenhöhlen.
Ich setzte die Ohrenschützer auf und tat wie geheißen, anfangs ziemlich gehemmt, weil er mich beobachtete. Es war klar, dass ich nicht mehr so gut war wie vor Jahren in der Polizeiakademie. Ich war oft hier heraufgekommen, im Durchschnitt einmal monatlich, hatte meine Besuche mit der Zeit jedoch weniger als Training in Selbstverteidigung, sondern mehr als Meditationsübung betrachtet. Mir selbst überlassen, war ich weder streng mit mir selbst noch exakt gewesen. Dietz war ein guter Lehrer, geduldig, methodisch, und er machte seine Verbesserungsvorschläge stets so, dass ich mich nicht kritisiert fühlte.
»Versuchen wir’s jetzt mal, wenn Sie die Pistole noch in der Handtasche haben«, sagte er, als er zufrieden war.
»Woher wissen Sie das alles?«
Er lächelte leicht. »Meine erste richtige Ausbildung an Handfeuerwaffen habe ich in einem Kurs für Sicherheitsleute bekommen, die einen Waffenschein brauchten, um im Dienst Pistole oder Revolver tragen zu dürfen. Die praktischen Schießübungen waren minimal, aber ich habe mir damals hervorragende Grundkenntnisse in den Waffengesetzen erworben. Danach ging ich ans American Pistol Institute.« Er unterbrach sich. »Sind wir eigentlich zum Arbeiten hier oder zum Schwatzen?«
»Darf ich’s mir aussuchen?«, sagte ich.
Das war offenbar nicht der Fall. Er ließ mich die .45 er ausprobieren, aber nach der .32er war die Waffe einfach zu schwer für mich. Er gab in diesem Punkt nach und erlaubte mir, mit der Davis weiterzuschießen. Wir gingen wieder an die Arbeit, und ich konzentrierte mich auf meine Aufgabe. Der Geruch von Schießpulver hing beißend in der Luft. Ich hörte auf, Mark Messinger als reale Person zu sehen. Er war zu etwas Abstraktem geworden — zu einer flachen schwarzen Silhouette sieben Meter entfernt — , mit einem papiernen Herzen und einem papiernen Hirn. Auf ihn zu feuern und zu sehen, wie sein Brustkorb zerfetzt wurde, wirkte therapeutisch auf mich. Die Furcht fiel von mir ab, und meine Zuversicht kehrte zurück. Ich schoss auf seinen Papierhals und traf eine tintenblaue Arterie. Und dann tat ich so, als tätowierte ich ihm mein Monogramm in den Oberleib. Als wir mittags einpackten und den Schießstand verließen, war ich wieder ganz die Alte.
Wir lunchten in der State Coach Tavern, die sich wie Schutz suchend an den Berg lehnte; ganz in der Nähe rieselte zwischen den Felsblöcken ein kleiner Wasserlauf zu Tal. Immergrüne Eichen und Lorbeerbäume hüllten die Taverne in kühle Schatten. Nur das Geschwätz der Vögel störte die Stille. Hin und wieder tauchte auf der Steigung vor dem Lokal ein Wagen auf und hielt auf die Hauptstraße zu. Dietz war noch immer wachsam und behielt die Umgebung im Auge. Er kam mir aber irgendwie entspannter vor; er trank sein Bier, einen Fuß auf die Fußleiste der groben Holzbank aufgestützt, auf der er saß. Ich saß links von ihm, mit dem Rücken zur Wand, und hielt ebenfalls Ausschau, obwohl es nicht viel zu sehen gab. Nur drei andere Gäste, Radfahrer, saßen an einem der roh behauenen Tische im Freien.
Wir bestellten Chili verde. Die Kellnerin brachte uns zwei große Teller duftenden Schweinefleischs in grünem Chili-Stew mit einem Schuss Koriander-Ketchup obendrauf und darin eingetaucht zwei zusammengefaltete Tortillas. Näher konnte ein Sünder dem
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