Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser
gruppierte sie in der Hoffnung, daß sich ein Muster zeigen würde, immer wieder neu.
Als ich das nächste Mal auf meine Uhr sah, war es zu meinem Schrecken Viertel vor sieben. Ich hatte nur ein, zwei Stunden am Schreibtisch arbeiten und die Zeit bis zu Eckerts Rückkehr ausnützen wollen. In aller Eile schob ich etwas Geld ein, schnappte mir ein Sweatshirt und zog es mir über den Kopf, als ich zur Tür hinausging. Ich joggte zum Jachthafen zurück und erwischte eine Frau, die die Rampe zum Jachthafen 1 hinunterging. Sie warf mir einen desinteressierten Blick zu, als sie das Tor aufmachte.
»Ich hab’ meinen Schlüssel vergessen«, murmelte ich und folgte ihr hinein.
Die Lord lag, ganz in eine blaue Persenning gehüllt, wieder an ihrem Platz. Die Kajüte war dunkel, von Eckert war nichts zu sehen. Im Wasser hinter der Lord schaukelte ein Schlauchboot mit Außenbordmotor. Ich blickte eine Weile zu ihm hinaus und erwog die Möglichkeiten. Dann ging ich zum hellerleuchteten Jachtclub, stieß die Glastür auf und ging die Treppe hinauf.
Ich sah ihn auf der anderen Seite des Saals an der Bar sitzen. Er hatte Jeans und eine Leinenjacke an, und sein graues Haar war von den Stunden auf dem Boot windzerzaust. Es war voll und laut im Saal, und am Tresen drängten sich die Trinker, die Luft war rauchgeschwängert.
Als ich bis auf etwa drei Meter an ihn herangekommen war, drehte er sich um und sah mich an. Er murmelte dem Barkeeper etwas zu und nahm sein Glas. »Setzen wir uns an einen Tisch«, sagte er zu mir. »Draußen ist sicher etwas frei.«
Ich nickte und folgte ihm durch das Gedränge.
Auf der Terrasse, auf der nur ein paar ganz Abgehärtete fröstelnd beieinander saßen, war es bedeutend ruhiger und kühler. Es wurde von Minute zu Minute dunkler. Der Ozean zu unseren Füßen rollte und brodelte. Donnernd und zischend brachen sich die Wellen am Strand. Ich fand den Geruch hier draußen herrlich, obwohl die Luft feucht und frostig war. Zwei hohe Propanheizgeräte verbreiteten einen rosigen Schein, ohne viel Wärme zu erzeugen. Dennoch setzten wir uns in die Nähe eines von ihnen.
»Ich habe Ihnen ein Glas Wein bestellt«, sagte Carl. »Der Kellner wird sicher jeden Moment kommen.«
»Danke. Sie haben Ihr Boot wieder, wie ich sehe. Was hat man gefunden? Ich vermute, nichts, aber man kann ja immer hoffen.«
»Es wurden tatsächlich Blutspuren gefunden. Ein paar kleine Spritzer an der Reling. Aber man weiß noch nicht, ob es von Wendell stammt.«
»Ja, klar. Es könnte auch Ihres sein.«
»Sie wissen doch, wie die Polizei arbeitet. Nur keine übereilten Schlüsse ziehen. Es kann doch leicht sein, daß Wendell selbst diese Blutspritzer angebracht hat, um den Verdacht zu erwecken, daß ein Verbrechen verübt worden ist. Haben Sie Renata noch gesehen? Sie ist gerade gegangen.«
Ich schüttelte den Kopf. Der plötzliche Themenwechsel entging mir nicht. »Ich wußte gar nicht, daß Sie beide miteinander bekannt sind.«
»O doch, ich kenne Renata. Ich kann nicht behaupten, daß wir Freunde sind. Ich habe sie vor Jahren kennengelernt, als Wendell sich in sie verliebte. Sie wissen ja wahrscheinlich wie das ist, wenn ein guter Freund eine Frau oder Lebensgefährtin hat, mit der man nicht viel anfangen kann. Ich konnte nicht verstehen, wieso er nicht mit Dana glücklich war.«
Ich sagte: »Die Ehe ist ein Mysterium. Was hatte sie hier zu tun?«
»Keine Ahnung. Sie wirkte sehr deprimiert. Sie wollte über Wendell sprechen, aber dann regte sie sich auf und ist einfach gegangen.«
»Ich habe den Eindruck, sie wird mit dieser Sache nicht gut fertig«, sagte ich. »Was ist mit dem Geld? Ist es weg?«
Sein Lachen klang tonlos und trocken. »Natürlich. Eine Weile hoffte ich allen Ernstes, daß es vielleicht noch auf dem Boot sein könnte. Und ich kann nicht mal die Polizei zu Hilfe holen. Das ist die Ironie.«
»Wann haben Sie Wendell das letzte Mal gesprochen?«
»Das muß am Donnerstag gewesen sein. Er war auf dem Weg zu Dana.«
»Ich habe ihn danach bei Michael gesehen. Wir sind dann zusammen gegangen, aber sein Wagen sprang nicht an. Jetzt bin ich sicher, daß jemand ihn manipuliert hatte. Genau wie meinen. Ich habe ihn mitgenommen, aber schon nach ein paar Metern wollte mein Auto nicht mehr. Und da hat jemand auf uns geschossen.«
Hinter uns wurde die Tür geöffnet, und explosionsartig drang der Lärm heraus. Der Kellner kam mit einem Glas Chardonnay zu uns an den Tisch. Für Eckert brachte er einen frischen
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