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Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Titel: Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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interessiert?« Valbusa zeigte mir die Fotografie. Ich betrachtete die körnige Porträtaufnahme einen Moment. »Ja, das ist er. Er heißt Wendell Jaffe. Ich habe hier noch ein paar Aufnahmen, auf denen Sie ihn aus anderer Perspektive sehen können.«
    Ich gab ihm die Sammlung von Fotografien, die ich von Mac bekommen hatte, und beobachtete ihn, während er sie aufmerksam durchsah und dann nach einem System, das nur er kannte, ordnete. »Ein gutaussehender Mann. Was hat er getan?«
    »Er und sein Partner haben Geschäfte mit unerschlossenen Grundstücken gemacht, von denen einige ganz legitim waren, bis sie sich völlig übernahmen. Am Ende mußten sie die Riesengewinne, die sie ihren Anlegern versprochen hatten, mit den Geldern bezahlen, die sie neuen Anlegern abknöpften. Jaffe merkte dann wohl, daß das nicht mehr lange so weitergehen konnte. Er verschwand eines Tages bei einem Segeltörn von seinem Boot und ward nie wieder gesehen. Bis vor einigen Tagen. Sein Partner mußte ins Gefängnis, ist aber inzwischen wieder auf freiem Fuß.«
    »Ach ja, die Geschichte kenne ich. Ich glaube, der Dispatch hat vor ein paar Jahren mal einen Bericht gebracht.«
    »Gut möglich. Es ist eines dieser ungelösten Rätsel, die die Phantasie der Leute anregen. Ein angeblicher Selbstmord, aber ohne Leiche — das gibt zu einer Menge Spekulationen Anlaß.«
    Valbusa studierte die Bilder genau, die Konturen von Jaffes Gesicht, den Haaransatz, den Abstand zwischen den Augen. Er hielt sich das Foto dicht vors Gesicht und neigte es schräg zum Fenster, durch das das Licht einfiel. »Wie groß ist er?«
    »Ungefähr einsneunzig. Und wiegt vielleicht hundert Kilo. Er ist Ende Fünfzig, aber gut in Form. Ich habe ihn in der Badehose gesehen.« Ich zog die Augenbrauen hoch. »Nicht übel.«
    Valbusa ging zum Kopiergerät und machte zwei Kopien des Fotos auf grobem beigefarbenen Papier. Er rückte einen Hocker ans Fenster. »Setzen Sie sich doch«, sagte er und wies mit dem Kopf auf eine Gruppe hölzerner Hocker.
    Ich trug einen zum Fenster und ließ mich neben ihm nieder. Schweigend sah ich zu, wie er Zeichenfedern aussuchte und schließlich vier aus dem Glas nahm. Er öffnete eine Schublade und holte einen Kasten Buntstifte und einen Kasten Pastellkreiden heraus. Er wirkte geistesabwesend, und die Fragen, die er mir nun zu stellen begann, schienen beinahe Teil eines Rituals zu sein, das zur Vorbereitung auf die anstehende Aufgabe gehörte. Er befestigte die Kopie des Fotos auf einer Agenda.
    »Fangen wir oben an. Wie ist sein Haar?«
    »Weiß. Früher war es mittelbraun. In Wirklichkeit ist es an den Schläfen dünner als auf dem Foto.«
    Valbusa nahm den weißen Stift und färbte das dunkle Haar hell. Augenblicklich sah Jaffe zwanzig Jahre älter aus und tief gebräunt.
    Ich mußte lächeln. »Nicht schlecht«, sagte ich. »Ich glaube, er hat sich die Nase schmaler machen lassen. Da, am Nasenrücken und vielleicht auch hier an den Seiten.« Die Stellen, die ich mit meinem Finger berührte, tönte Valbusa mit feinen Kreide- oder Bleistiftstrichen. Die Nase auf dem Papier wurde schmal und aristokratisch.
    Valbusa begann zu plaudern. »Es verblüfft mich immer wieder, wie viele Variationen sich aus den Grundelementen eines menschlichen Gesichts herausholen lassen. Wenn man bedenkt, daß die meisten von uns mit der Standardausführung zur Welt kommen — eine Nase, ein Mund, zwei Augen und zwei Ohren. Nicht nur sieht jeder von uns anders aus, wir können die Gesichter auch im allgemeinen auf den ersten Blick voneinander unterscheiden. Wenn man viel porträtiert wie ich, fängt man langsam an, die Feinheiten des Prozesses richtig zu würdigen.« Mit sicherem Strich verlieh Valbusa dem Mann auf dem Bild zusätzliche Jahre und Statur. Er hielt inne und deutete auf ein Auge. »Wie steht’s mit der Falte hier? Hat er seine Augen auch korrigieren lassen?«
    »Nein, ich glaube nicht.«
    »Hängen die Lider? Hat er schwere Tränensäcke? In fünf Jahren bekommt man schon ein paar Fältchen.«
    »Vielleicht. Aber nicht viele. Seine Wangen wirkten eingefallener. Er sah beinahe hager aus«, sagte ich.
    Er arbeitete einen Moment schweigend. »So?«
    Ich studierte die Zeichnung. »Das ist sehr ähnlich.«
    Als er schließlich fertig war, hatte ich ein ziemlich getreues Abbild des Mannes vor mir, den ich in Mexiko gesehen hatte. »Ich glaube, das ist es. Er sieht gut aus.« Ich sah zu, wie er das Papier mit einem Fixierer besprühte.
    »Ich mache gleich

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