Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser
aufzutreiben.
Daraufhin rief ich die Auskunft für Perdido/Olvidado an. Da gab es nur einen Eintrag unter dem Namen Eckert. Er gehörte einer gewissen Frances Eckert, die in einem Ton zurückhaltender Höflichkeit antwortete, als ich ihr erklärte, ich sei auf der Suche nach Carl.
»Hier gibt es niemanden dieses Namens«, sagte sie.
Ich horchte auf wie ein Hund, der bei einem Signal, das jenseits des menschlichen Hörvermögens liegt, die Ohren spitzt. Sie hatte nicht gesagt, sie kenne ihn nicht. »Sind Sie vielleicht zufällig mit Carl Eckert verwandt?«
Einen Moment blieb es still. »Ich war mit ihm verheiratet. Darf ich fragen, worum es sich handelt?«
»Aber sicher. Mein Name ist Kinsey Millhone. Ich bin Privatdetektivin und habe mein Büro hier oben in Santa Teresa. Ich versuche, einige von Wendell Jaffes alten Freunden ausfindig zu machen.«
»Wendell?« sagte sie erstaunt. »Ich dachte, der sei tot.«
»Tja, das scheint nun doch nicht so zu sein. Eben deshalb suche ich ja nach alten Freunden und Bekannten — weil ich mir denken könnte, daß er mit ihnen Kontakt aufnehmen wird. Lebt Carl noch hier in der Gegend?«
»Er wohnt in Santa Teresa. Auf einem Boot.«
»Ach was?« sagte ich. »Und Sie sind geschieden?«
»Worauf Sie sich verlassen können. Ich habe mich vor vier Jahren scheiden lassen, als Carl ins Gefängnis mußte. Ich hatte überhaupt keine Lust, die Ehefrau eines Knastbruders zu sein.«
»Das kann ich verstehen.«
»Ich hätte mich auch scheiden lassen, wenn kein Mensch mich verstanden hätte, das können Sie mir glauben. So wie dieser Kerl sich entpuppt hat. Sie können ihm das ruhig sagen, wenn Sie ihn aufstöbern sollten. Zwischen uns ist nichts mehr.«
»Haben Sie vielleicht eine Telefonnummer, unter der ich ihn tagsüber erreichen kann?«
»Natürlich. Ich gebe seine Nummer jedem, besonders seinen Gläubigern. Das macht mir das größte Vergnügen. Sie können Ihn aber nur während des Tages erreichen«, warnte sie mich. »Auf dem Boot hat er kein Telefon. Da ist er jeden Tag spätestens um sechs. Meistens ißt er im Jachtclub zu Abend und hängt dann dort bis Mitternacht herum.«
»Wie sieht er aus?«
»Oh, er ist allgemein bekannt. Jeder kann ihn Ihnen zeigen. Fahren Sie einfach hin und fragen Sie nach ihm. Sie können ihn gar nicht verfehlen.«
»Und können Sie mir auch noch den Namen des Boots und die Liegeplatznummer geben, für den Fall, daß er nicht im Club ist?«
Sie nannte mir die Nummer. »Das Boot heißt Captain Stanley Lord. Es hat Wendell gehört«, fügte sie hinzu.
»Ach wirklich? Und wie ist Carl zu dem Boot gekommen?« 1
»Das sollten Sie sich von ihm selbst erzählen lassen«, erwiderte sie und legte auf.
Ich erledigte noch dies und das und beschloß dann, es für diesen Tag gut sein zu lassen. Ich hatte mich schon beim Aufstehen ziemlich mies gefühlt, und das Antihistamin, das ich am Morgen genommen hatte, gab mir jetzt vollends den Rest. Da nicht viel los war, meinte ich, guten Gewissens nach Hause fahren zu können. Ich marschierte das Stück bis zu meinem Wagen, fuhr zur State Street und bog dort links ab.
Meine Wohnung liegt versteckt in einer schattigen kleinen Seitenstraße, nur einen Straßenzug vom Strand entfernt. Ich fand einen Parkplatz ganz in der Nähe, schloß den VW ab und ging durch die Gartenpforte aufs Grundstück. Ich wohne in einer ehemaligen Garage, die man in eine kleine Maisonettewohnung umgewandelt hat. Unten habe ich eine Kochnische, ein Wohnzimmer, das gelegentlich auch als Gästezimmer dient, und ein Bad, und im oberen Stockwerk, das über eine Wendeltreppe zu erreichen ist, sind das Schlafzimmer und noch ein kleines Bad. Die Wohnung ist unglaublich praktisch. Mein Hauswirt hatte die Garage nach einer Explosion vor zwei Jahren zu Weihnachten umbauen lassen und dem Dekor einen nautischen Akzent verliehen. In den Zimmern gab es viel Messing und Teakholz, die Fenster hatten die Form von Bullaugen, die Küche erinnerte an eine Kombüse, überall gab es Einbauschränke. Die Wohnung hat etwas von einem Spielzeughaus für Erwachsene; mir ist das nur recht, ich bin im Herzen ein Kind geblieben.
Als ich auf dem Weg zum rückwärtigen Garten um die Ecke bog, sah ich, daß Henrys Hintertür offenstand. Ich überquerte die Terrasse, die meine kleine Wohnung mit dem Haupthaus des Anwesens verband, klopfte an das Fliegengitter und spähte in die Küche, die leer zu sein schien.
»Henry? Bist du da?«
Er war anscheinend in
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