Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Titel: Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
Vom Netzwerk:
meinen.«
    Er blieb pflichtschuldig stehen, während ich in meiner Handtasche nach einer Karte kramte. Ich gebrauchte mein erhobenes Knie als Unterlage, um meine private Nummer auf die Rückseite der Karte zu schreiben, ehe ich sie ihm reichte. Er warf einen desinteressierten Blick darauf und steckte sie ein. »Danke.«
    Sein Ton verriet mir, daß er nicht die geringste Absicht hatte, mich anzurufen. Wenn sein Vater versuchen sollte, ihn zu erreichen, so würde er den Kontakt wahrscheinlich willkommen heißen.
    Wir gingen ins Schlafzimmer. Im Fernsehen lief immer noch das Baseballspiel. Juliet war mit dem Kind im Badezimmer. Ich konnte durch die Tür hören, wie sie mit Brendan Unsinn babbelte. Michael hing schon wieder vor der Glotze. Er hatte sich auf den Boden gesetzt, mit dem Rücken an das Bett gelehnt, und drehte wieder den Ring seines Vaters, den er an der rechten Hand trug. Ich nahm den Karton Pampers und klopfte an die Badezimmertür.
    Juliet schaute heraus. »Oh! Gut! Vielen Dank. Wollen Sie mir helfen, wenn ich ihn jetzt bade? Er hat so schlimm ausgesehen, daß ich ihn gleich in die Wanne gesteckt habe.«
    »Nein, ich muß gehen«, erwiderte ich. »Es sieht aus, als würde es jeden Moment zu schütten anfangen.«
    »Wirklich? Wir bekommen Regen?«
    »Wenn wir Glück haben.«
    Ich sah ihr Zögern. »Darf ich Sie was fragen? Wenn Michaels Vater wirklich zurückkommen sollte, würde er den Kleinen sehen wollen? Brendan ist schließlich sein einziges Enkelkind, und es kann doch sein, daß er nie wieder eine Gelegenheit bekommt.«
    »Wundern würde es mich nicht. Ich an Ihrer Stelle wäre vorsichtig.«
    Sie schien etwas sagen zu wollen, überlegte es sich dann aber anders. Als ich die Tür schloß, kaute Brendan auf dem Waschlappen.

16
    -----

    Als ich auf den Highway kam, fielen die ersten Tropfen, und als ich ungefähr fünfzig Meter von meiner Wohnung entfernt einen Parkplatz entdeckte und mein Auto abstellte, hatte der Regen einen gleichmäßigen Rhythmus gefunden. Ich sperrte den VW ab und ging um die sich sammelnden Pfützen herum zum Tor. Bei Henry brannte noch Licht. Seine Küchentür stand offen, und ich roch frisches Gebäck, eine verlockende Kombination aus Vanille und Schokolade, die sich mit dem Geruch des Regens und des feuchten Rasens mischte. Ein plötzlicher Windstoß rüttelte die Baumwipfel, und ein kurzer Schauer von Blättern und dicken Wassertropfen fiel auf mich herab. Ich zog den Kopf ein und schwenkte ab zu Henry.
    Henry schnitt gerade ein Blech Brownies auf. Er war barfuß, hatte weiße Shorts und ein leuchtendes blaues T-Shirt an. Ich hatte Fotos von ihm aus seiner Jugend und als er fünfzig und sechzig war gesehen, aber so wie er jetzt war, mager und sehnig, gefiel er mir besser. Er sah so gut aus mit seinem seidigen weißen Haar und seinen blitzblauen Augen, daß es überhaupt keinen Anlaß gab zu glauben, ihm würde es nicht von Jahr zu Jahr immer besser gehen. Ich klopfte an den Rahmen seiner Fliegengittertür. Er blickte auf und lachte erfreut, als er mich sah.
    »Kinsey, hallo! Das ging aber schnell. Ich habe gerade erst auf deinen Anrufbeantworter gesprochen.« Er winkte mich herein.
    Ich wischte mir die Schuhe auf dem Abtreter ab, ehe ich sie auszog und an der Tür stehen ließ. »Ich hab’ Licht gesehen. Ich bin gerade aus Perdido zurückgekommen und war noch nicht mal in meiner Wohnung. Ist der Regen nicht eine Wucht? Woher ist der plötzlich gekommen?«
    »Den hat Hurricane Jackie uns beschert, wie ich gehört habe. In den nächsten zwei Tagen soll es immer wieder Schauer geben. Ich hab’ eine Kanne Tee gemacht. Du brauchst nur Tassen und Untertassen herauszuholen.«
    Ich folgte seinem Vorschlag und holte auch gleich die Milch aus dem Kühlschrank. Henry spülte und trocknete sein Messer und trug das Blech mit den Brownies zum Küchentisch. In Santa Teresa wird es abends für gewöhnlich immer angenehm kühl, doch an diesem Abend war die Luft wegen des Unwetters von einer beinahe tropischen Schwüle. Und die Küche wirkte wie ein Inkubator. Henry hatte seinen alten schwarzen Ventilator herausgeholt, der mit unablässigem eintönigen Brummen seinen eigenen Schirokko schuf.
    Wir setzten uns einander gegenüber an den Tisch, zwischen uns, auf einem Topflappen, das Blech mit den Brownies. Die Kruste war hellbraun, wirkte so fein und zerbrechlich wie getrocknete Tabakblätter. Henrys Messer hatte eine unregelmäßige Kerbe hinterlassen, und dort, wo die Kruste gesprungen war,

Weitere Kostenlose Bücher