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Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Titel: Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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voller Glück an sie. Es war der einzige Moment in der Geschichte, da ich mir wünschte, ich hätte auch so einen Racker.
    Juliet lachte. »Ist er nicht süß?«
    »Ja, niedlich«, sagte ich.
    »Michael darf zur Zeit nicht mal versuchen, ihn hochzunehmen«, sagte sie. »Er will plötzlich nur bei mir sein. Er fremdelt wie verrückt. Erst seit letzter Woche. Bis dahin war er ganz begeistert von seinem Vater. Aber wenn ich ihn jetzt jemand anders gebe — Sie sollten sein Gesicht sehen! Und hören, wie er weint. Ach Gott, es könnte einem wirklich das Herz zerreißen. Dieser kleine Gauner ist ganz verharrt in seine Mama«, sagte Juliet.
    Brendan hob das dralle Händchen und schob ihr mehrere Finger in den Mund. Sie tat so, als wollte sie beißen, und das Kind auf ihrem Arm lachte. Aber da veränderte sich ihr Gesicht plötzlich, sie rümpfte die Nase. »Ach, du lieber Gott, er scheint die Hose voll zu haben.« Sie schob einen Finger unter den Rand der Windel, um einen Blick riskieren zu können. »Michael!«
    »Was denn?«
    Sie ging wieder ins andere Zimmer. »Würdest du vielleicht nur einmal das tun, worum ich dich bitte? Der Kleine hat die Hose voll, und es sind keine Pampers mehr da. Das habe ich dir bereits zweimal gesagt.«
    Michael stand gehorsam vom Bett auf, ohne jedoch den Blick vom Baseballspiel auf dem Bildschirm zu lösen. Als dann der nächste Werbespot eingeblendet wurde, schien der Bann gebrochen.
    »Wenn’s geht, noch heute, ja?« sagte sie und setzte sich den Kleinen auf die Hüfte.
    Michael zog aus einem Haufen Kleider auf dem Boden seine Windjacke heraus. »Ich bin gleich wieder da«, sagte er zu niemand Bestimmtes. Als er in seine Jacke schlüpfte, erkannte ich plötzlich, daß sich hier die ideale Gelegenheit bot, mit ihm zu sprechen.
    »Kann ich mitkommen?« fragte ich.
    »Mir recht«, sagte er mit einem Blick zu Juliet. »Brauchst du sonst noch was?«
    Sie schüttelte den Kopf, während sie zusah, wie auf dem Bildschirm ein paar kleine Putzteufelchen einen verkrusteten Eßteller rein spülten. Ich hätte jederzeit gewettet, daß sie noch nicht einmal Geschirr spülen konnte.

    Michael ging schnell, den Kopf gesenkt, die Hände in den Taschen seiner Jacke vergraben. Er war leicht einen Kopf größer als ich, bewegte sich locker und geschmeidig. Das heraufziehende Unwetter hatte den Himmel über uns verdunkelt, und ein tropischer Wind fegte gefallenes Laub raschelnd durch die Rinnsteine. Die Zeitung hatte angekündigt, daß das Sturmtief sich abschwächen und uns wahrscheinlich höchstens einen Schauer bringen würde. Die Luft war bereits heftig bewegt, der Himmel anthrazitgrau. Michael hob wie witternd den Kopf.
    Ich mußte laufen, um mit ihm Schritt zu halten. »Könnten Sie vielleicht ein bißchen langsamer gehen?«
    »Oh, entschuldigen Sie«, sagte er und nahm Tempo weg.
    Der Supermarkt war an der Ecke, vielleicht zwei Straßen entfernt. Ich sah die Lichter vor uns, obwohl die Straße selbst dunkel war. Bei jedem dritten, vierten Haus, an dem wir vorüberkamen, brannte die Außenbeleuchtung. Essensgerüche hingen in der kühlen Abendluft: der Duft gebackener Kartoffeln und gebratenen Fleischs. Ich hatte schon zu Abend gegessen, aber ich war dennoch hungrig.
    »Ich nehme an, Sie wissen, daß Ihr Vater möglicherweise auf dem Weg hierher ist«, sagte ich zu Michael, um mich abzulenken.
    »Ja, das hat meine Mutter mir gesagt.«
    »Wissen Sie schon, was Sie tun werden, wenn er sich bei Ihnen melden sollte?«
    »Mit ihm reden, denke ich. Warum? Was sollte ich sonst tun?«
    »Es gibt immer noch einen Haftbefehl gegen ihn«, versetzte ich.
    Michael prustete verächtlich. »Na großartig. Den eigenen Vater hinhängen. Man hat ihn jahrelang nicht gesehen, und dann holt man als erstes die Bullen.«
    »Ja, das klingt beschissen, das gebe ich zu.«
    »Das klingt nicht nur so. Das ist beschissen.«
    »Haben Sie noch viele Erinnerungen an ihn?«
    Michael zog eine Schulter hoch. »Ich war siebzehn, als er ge — weggegangen ist. Ich erinnere mich, daß meine Mutter viel geweint hat und wir zwei Tage nicht in die Schule gehen mußten. An den Rest versuche ich nicht zu denken. Aber eines kann ich Ihnen sagen: Ich dachte immer, okay, mein Vater hat sich umgebracht — na und? Verstehen Sie? Aber dann kam mein Sohn, und damit hat sich meine ganze Einstellung geändert. Ich könnte dem Kleinen so was niemals antun. Niemals könnte ich ihn einfach im Stich lassen, und ich frage mich heute, wie mein Vater mir das

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