Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser
hellerleuchteten Supermarkt erreicht. Unser Gespräch kam zum Stillstand, als Michael in den Regalen nach den Dingen suchte, die einzukaufen er hergekommen war. Ich blieb vor dem Zeitungsregal stehen und musterte die verschiedenen Frauenzeitschriften. Nach den Themen, die auf den Titelblättern angekündigt waren, interessierten uns nur Schlankheitskuren, Sex und Tips zur preiswerten Verschönerung der eigenen vier Wände — in eben dieser Reihenfolge. Ich nahm Home & Hearth zur Hand und blätterte es durch, bis ich zu einem dieser Beiträge mit dem Titel »Fünfundzwanzig Dinge, die Sie für fünfundzwanzig Dollar oder weniger selbst anfertigen können« kam. Ein Vorschlag war, aus alten Bettlaken eine Garnitur Schonbezüge mit Schleifchen für Klappstühle zu nähen.
Als ich aufblickte, sah ich Michael an der Kasse stehen. Er hatte offenbar schon für seine Einkäufe bezahlt. Die Kassiererin war gerade dabei, sie in eine Tüte zu packen. Ich weiß nicht, was es war, aber plötzlich hatte ich das Gefühl, daß da außer mir noch jemand anders zusah. Wie beiläufig drehte ich mich herum und ließ meinen Blick durch das Geschäft schweifen. Links nahm ich verschwommene Bewegungen wahr, den Schatten eines Gesichts, das in den Glasscheiben der Kühlschränke an der rückwärtigen Wand, dem Eingang gegenüber, gespiegelt wurde. Hastig wandte ich mich um, aber vorn war nichts zu sehen.
Ich lief hinaus und trat in die kühle Abendluft. Auf dem Parkplatz war keine Menschenseele zu sehen. Die Straße war leer und still. Keine Fußgänger, keine streunenden Hunde. Kein Lufthauch bewegte das Gebüsch. Doch das Gefühl ließ mich nicht los. Es überlief mich kalt. Es bestand kein Anlaß zu der Vermutung, daß jemand sich für Michael oder mich interessierte. Außer Wendell Jaffe natürlich. Der Wind frischte auf und trieb Dunstschwaden über den Bürgersteig.
»Was ist denn?« Michael war neben mich getreten.
»Ach, ich dachte, ich hätte an der Tür jemanden stehen sehen, der Sie beobachtet hat.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe nichts bemerkt.«
»Vielleicht ist es meine überreizte Phantasie, aber eigentlich passiert mir so was selten«, meinte ich.
»Sie glauben, es könnte mein Vater gewesen sein?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, wer sich sonst für Sie interessieren sollte.«
Wie ein witterndes Tier hob er plötzlich den Kopf. »Ich höre einen Automotor.«
»Ja?« Ich horchte aufmerksam, aber ich hörte nichts außer dem Rascheln des Windes in den Bäumen. »Woher kommt das Geräusch?«
Er schüttelte den Kopf. »Jetzt ist es weg. Von da drüben, glaube ich.«
Ich spähte zur dunklen Straßenseite hinüber, auf die er hinwies, aber nichts rührte sich dort. Die in großen Abständen angebrachten Straßenlampen schufen seichte Pfützen trüben Lichts, die die tiefen Schatten zwischen ihnen nur um so schwärzer erscheinen ließen. Ein Luftzug strich wie eine Welle durch die Baumwipfel. Das Rascheln vermittelte ein Gefühl von Heimlichkeit und Scheu. Ich konnte das Aufschlagen der Regentropfen auf den obersten Blättern hören. Ganz schwach, irgendwo in der Ferne, glaubte ich das Knallen von Absätzen hören, Schritte, die sich in der Dunkelheit verloren. Ich drehte mich um. Sein Lächeln erlosch, als er mein Gesicht sah.
»Sie sehen aus, als hätten Sie Gespenster gesehen.«
»Die Vorstellung, beobachtet zu werden, ist mir ausgesprochen unsympathisch.«
Die Kassiererin im Laden starrte zu uns, wahrscheinlich verwundert über unser Verhalten. Ich sah Michael an. »Gehen wir. Juliet wird sich schon wundern, wo wir bleiben.«
Wir gingen schnell. Diesmal bat ich Michael nicht um ein gemächlicheres Tempo. Ich ertappte mich dabei, daß ich von Zeit zu Zeit zurückblickte, doch immer schien die Straße leer zu sein. Meiner Erfahrung nach ist es leichter, auf die Dunkelheit zuzugehen als von ihr wegzugehen. Erst als wir die Haustür hinter uns zugemacht hatten, erlaubte ich mir, mich zu entspannen. Ich atmete hörbar auf. Michael, der mit seiner Tüte in die Küche gegangen war, warf einen Blick zur Tür heraus. »Hey, wir sind völlig sicher.«
Mit den Pampers und einer Stange Zigaretten kam er heraus und ging zum Schlafzimmer. Ich folgte ihm.
»Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir Bescheid geben würden, falls Ihr Vater mit Ihnen Verbindung aufnehmen sollte. Ich gebe Ihnen meine Karte. Sie können mich jederzeit anrufen.«
»Natürlich.«
»Vielleicht sollten Sie auch Juliet vorbereiten.«
»Wie Sie
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