Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser
Rundlichkeit.
Lächelnd bot sie mir die Hand. »Hallo, Kinsey. Ich freue mich, dich kennenzulernen. Ich bin deine Cousine Liza.«
»Wie sind Sie — bist du hierhergekommen?« fragte ich. »Ich habe gestern erst erfahren, daß ich hier in der Gegend vielleicht Verwandte habe.«
»Ja, wir haben es auch erst gestern gehört. Das heißt, ganz stimmt das nicht. Lena Irwin hat gestern abend meine Schwester Pam angerufen, und daraufhin haben wir uns sofort zusammengesetzt. Lena war überzeugt, du müßtest mit uns verwandt sein. Meine beiden Schwestern waren ganz versessen darauf herzukommen, um dich kennenzulernen, aber wir fanden, das wäre ein bißchen viel auf einmal für dich. Außerdem mußte Tasha dringend nach San Francisco zurück, und Pamela kommt jeden Moment nieder.«
Plötzlich hatte ich drei Cousinen. Das war wirklich ein bißchen viel auf einmal. »Woher kennt ihr Lena?«
Liza antwortete mit einer wegwerfenden Handbewegung wie ich sie jeden Tag zwanzigmal machte. »Sie stammt aus Lompoc. Sofort als sie sagte, sie habe dich kennengelernt, wußten wir, daß wir herkommen müssen. Grand haben wir bis jetzt kein Wort verraten, aber sie wird dich bestimmt kennenlernen wollen.«
»Grand?«
»Ach, entschuldige. Das ist unsere Großmutter, Cornelia. Ihr Mädchenname war LaGrand, und wir haben einen Spitznamen daraus gemacht. Jeder nennt sie Grand.«
»Was weiß sie von mir?«
»Nicht viel. Wir kannten natürlich deinen Namen, aber wir wußten eigentlich nichts über deinen Verblieb. Dieser ganze Familienskandal war ja so lächerlich. Damals natürlich nicht. Im Gegenteil, er hat die Schwestern in zwei Lager gespalten, habe ich mir erzählen lassen. Aber sag, störe ich dich bei der Arbeit? Das hätte ich gleich fragen sollen.«
»Gar nicht«, antwortete ich mit einem raschen Blick auf die Uhr. Ich hatte noch drei Stunden Zeit bis zu meiner Mittagsverabredung. »Alison sagte mir gleich, sie würde keine Gespräche durchstellen, aber ich konnte mir gar nicht vorstellen, was so wichtig sein sollte. Kannst du mir Näheres über die Schwestern erzählen?«
»Es waren fünf Schwestern. Sie hatten auch einen Bruder, aber der ist schon als Säugling gestorben. Der Bruch zwischen Grand und Tante Rita hat sie, wie ich schon gesagt habe, in zwei Lager gespalten. Hast du die Geschichte wirklich nie gehört?«
»Nein«, antwortete ich. »Ich sitze hier und frage mich, ob du bei mir an der richtigen Adresse bist.«
»Eindeutig«, gab sie zurück. »Deine Mutter war eine Kinsey. Rita Cynthia, richtig? Ihre Schwester hieß Virginia. Wir haben sie Tante Gin genannt. Oder manchmal auch Gin Gin.«
»So habe ich sie auch genannt«, sagte ich schwach. Ich hatte immer geglaubt, das sei mein spezieller Kosename für sie; ein Name, den ich erfunden hatte.
Liza fuhr fort. »Ich habe sie nicht allzugut gekannt wegen des Zerwürfnisses zwischen den beiden und Grand, die übrigens dieses Jahr achtundachtzig wird. Aber sie ist geistig unglaublich auf Draht. Ich meine, sie ist praktisch blind und gesundheitlich nicht ganz auf der Höhe, aber für ihr Alter hat sie sich phantastisch gehalten. Ich weiß nicht, ob die beiden je wieder ein Wort mit Grand gesprochen haben, aber Tante Gin ist manchmal zu Besuch gekommen, und dann haben sich die Schwestern alle wieder zusammengesetzt. Der große Horror war, daß Grand irgendwie davon Wind bekommen könnte, aber ich glaube, das ist nie passiert. Übrigens, unsere Mutter heißt Susanna. Sie ist die Jüngste von den fünf Schwestern. Hast du was dagegen, wenn ich mich setze?«
»Aber nein. Entschuldige. Bitte, nimm Platz. Möchtest du einen Kaffee? Ich kann uns welchen holen.«
»Nein, nein, nicht nötig. Es tut mir nur leid, daß ich hier so hereingeplatzt bin und dich jetzt mit diesen Geschichten überschütte. Was habe ich gerade gesagt? Ach ja. Deine Mutter war die Älteste, meine die Jüngste. Es leben jetzt nur noch zwei Schwestern — meine Mutter, Susanna, sie ist achtundfünfzig, und die Schwester, die ihr im Alter am nächsten ist, Maura, sie ist einundsechzig. Sarah ist vor fünf Jahren gestorben. Wirklich, es tut mir leid, daß ich dich mit dem allen so überfalle. Wir haben einfach angenommen, du wüßtest das alles.«
»Was ist mit Burton — Großvater Kinsey?«
»Er ist auch tot. Er ist erst vor einem Jahr gestorben, aber er war seit Jahren krank.« Sie sagte das so, als hätte ich die Natur seiner Krankheit kennen müssen.
Ich sagte nichts dazu. Ich wollte mich nicht
Weitere Kostenlose Bücher