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Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Titel: Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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ihren rechten Fuß. »Eins. Zwei. Drei. Vier —«
    »Er ist bei Michael.«
    »Ich danke Ihnen. Sie sind sehr freundlich«, sagte ich. »Ich lasse die Kanone in Ihrem Briefkasten.«
    Sie schauderte unwillkürlich. »Behalten Sie sie. Ich hasse Schußwaffen.«
    Ich schob das Ding hinten in meinen Bund und sprang behende wie ein Reh auf den Steg. Als ich mich noch einmal nach ihr umdrehte, umklammerte sie mit schlotternden Knien den Mast.
    Ich warf meine Karte in ihren Briefkasten und klemmte eine zweite in die Türritze. Dann fuhr ich zu Michael.

19
    -----

    Hinten im Haus brannte Licht. Ich ging ohne zu läuten direkt in den Garten und schaute im Vorübergehen durch jedes Fenster. In der Küche war außer schmutzigem Geschirr auf sämtlichen Abstellmöglichkeiten nichts zu sehen. Immer noch stand alles mit Umzugskartons voll. Das zusammengeknüllte Zeitungspapier lag jetzt in einem Haufen in einer Ecke. Als ich zum großen Schlafzimmer kam, sah ich, daß Juliet durch Tips von Schöner Wohnen inspiriert, Handtücher vor die Fenster gehängt hatte, so daß mir die Sicht völlig versperrt war. Ich ging wieder nach vorn und fragte mich, ob ich anklopfen mußte wie Krethi und Plethi. Ich drehte versuchsweise den Türknauf und entdeckte zu meiner Freude, daß ich nur einzutreten brauchte.
    Das Fernsehgerät im Wohnzimmer war ausgerastet. Statt eines Farbbilds war ein Chaos flimmernder Farben zu sehen, das dem Nordlicht ähnelte. Die Geräuschkulisse zu diesem bemerkenswerten Phänomen beschwor Bilder von harten Burschen mit Pistolen und einer aufregenden Autojagd herauf. Ich spähte zu den Schlafzimmern, konnte aber wegen der quietschenden Autobremsen und den krachenden Schußwechseln kaum etwas hören. Ich zog Renatas Kanone aus dem Bund und hielt sie wie eine Taschenlampe vor mich hin, während ich mich vorsichtig nach hinten schlich.
    Das Kinderzimmer war dunkel, aber die Tür zum großen Schlafzimmer war angelehnt, und durch den Spalt fiel Licht auf den Flur. Mit dem Revolverlauf gab ich der Tür einen sachten Stoß. Leise quietschend schwang sie auf. Vor mir, in einem Schaukelstuhl, saß Wendell Jaffe mit seinem Enkel auf dem Schoß. Er stieß einen gedämpften Ausruf des Erschreckens aus. »Schießen Sie nicht auf das Kind.«
    »Natürlich schieße ich nicht auf das Kind. Wofür halten Sie mich?«
    Brendan lachte, als er mich sah, und wedelte zur Begrüßung überschwenglich mit beiden Armen. Er hatte einen Schlafanzug mit blauen Häschen an, und sein helles Haar war noch feucht vom Bad. Juliet hatte es zu einer kleinen Tolle aufgebürstet. Das ganze Zimmer roch nach Babypuder. Ich schob die Kanone wieder in den Bund meiner Jeans. Sehr bequem war das nicht, und ich war mir völlig im klaren darüber, daß ich riskierte, mich selbst in den Hintern zu schießen. Aber ich wollte die Kanone auch nicht in meine Handtasche stecken; da wäre ich im Notfall noch schlechter an sie herangekommen.
    Ein glückliches Familienwiedersehen schien dies nicht gerade zu sein. Brendan war offensichtlich der einzige, der sich freute. Michael stand mit verschlossenem Gesicht an die Kommode gelehnt. Er starrte auf den Schulring hinunter, der einmal seinem Vater gehört hatte, und drehte ihn an seinem Finger wie in einer Art Meditation. Ich habe Ähnliches bei Profitennisspielern beobachtet. Sie vertiefen sich in die Prüfung der Saiten ihres Schlägers, um sich ihre Konzentration zu bewahren. Michael, in Sweatshort und schmutziger Jeans, schien sich nach der Arbeit nicht umgezogen zu haben. In seinem Haar konnte ich noch den Abdruck des Schutzhelms erkennen, den er tagsüber aufgehabt hatte. Wendell hatte ihn wohl bereits erwartet, als er nach Hause gekommen war.
    Juliet hockte wie ein Häufchen Elend am Kopfende des Betts. Sie wirkte angespannt und klein in der abgeschnittenen Jeans und dem T-Shirt. Ihre Füße waren nackt. Sie hatte die Beine angezogen und hielt sie mit beiden Armen umschlungen. Sie war offensichtlich bemüht, sich aus dem Familiendrama herauszuhalten.
    Nur eine Tischlampe brannte, vermutlich ein Import aus Juliets Kinderzimmer im Haus ihrer Eltern. Die Lampe hatte einen gerüschten Schirm in kräftigem Pink. Unten auf dem Sockel war eine Puppe mit steifem pinkfarbenen Rock. Ihr Körper war am Lampenständer befestigt, und sie hielt ihre Arme ausgebreitet. Ihr Mund war eine Rosenknospe, und dichte Wimpern verschleierten ihre Augen, die sich mechanisch öffneten und schlossen. Die Glühbirne hatte höchstens 40 Watt,

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