Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser
zurückkommen und den Bruch kitten, altes Ungemach bereinigen, alles wieder in Ordnung bringen. Vielleicht hatte er geglaubt, eine leidenschaftliche Erklärung würde Wiedergutmachung genug sein für Verlassen und Vernachlässigung.
»Wir werden uns wohl nie einigen können«, sagte er.
»Warum bist du nicht zurückgekommen und hast die Konsequenzen dessen, was du getan hattest, auf dich genommen?«
»Ich konnte nicht. Ich sah keine Möglichkeit dazu.«
»Mit anderen Worten, es interessierte dich nicht. Du wolltest keine Opfer für uns bringen. Besten Dank. Wir wissen deine väterliche Liebe zu schätzen. Das ist ganz typisch für dich.«
»Also, das ist nun wirklich nicht wahr, Michael.«
»Doch, es ist wahr. Du hättest bleiben können, wenn du gewollt hättest und wir dir etwas bedeutet hätten. Aber da haben wir die Wahrheit: Wir haben dir nichts bedeutet, und das war eben unser Pech, wie?«
»Natürlich bedeutet ihr mir etwas. Was glaubst du denn, wovon ich die ganze Zeit rede?«
»Ich weiß nicht, Dad. Soweit ich verstehe, versuchst du nur, dein Verhalten zu rechtfertigen.«
»Das ist ja sinnlos. Ich kann die Vergangenheit nicht ungeschehen machen. Ich kann nicht ändern, was damals vorgefallen ist. Brian und ich werden uns stellen. Das ist das Beste, was ich tun kann, und wenn das nicht gut genug ist, weiß ich nicht, was ich noch sagen soll.«
Michael wandte sich ab und schüttelte stumm den Kopf.
Jaffe räusperte sich. »Ich muß gehen. Ich habe Brian versprochen zu kommen.«
Er stand auf und drückte das Kind an seine Schulter. Juliet schwang die Beine vom Bett und stand ebenfalls auf, um ihm Brendan abzunehmen. Es war klar, daß das Gespräch ihr nahegegangen war.
Michael schob seine Hände tief in seine Hosentaschen. »Du hast Brian mit dieser erschwindelten Freilassung überhaupt keinen Gefallen getan.«
»Das ist wahr, wie sich jetzt herausgestellt hat, aber das konnten wir nicht voraussehen. Im übrigen habe ich über viele Dinge meine Meinung geändert. Aber das ist etwas, was dein Bruder und ich unter uns abmachen müssen.«
»Du hast für Brian alles noch schlimmer gemacht, als es schon war. Wenn du nicht schleunigst etwas unternimmst, wird die Polizei ihn schnappen und wieder ins Loch stecken. Da kommt er dann so schnell nicht wieder raus. Und du, was machst du dann? Machst auf irgendeinem beschissenen Boot die Flatter und kümmerst dich um nichts. Viel Glück!«
»Der Gedanke, daß ich auch einen Preis bezahlen muß, kommt dir wohl gar nicht?«
»Aber du bist nicht wegen Mordes angeklagt.«
»Ich weiß nicht, ob es einen Sinn hat, das fortzusetzen«, sagte Jaffe, ohne sachlich auf Michaels Bemerkung einzugehen. Die beiden schienen aneinander vorbeizureden. Jaffe versuchte, seine väterliche Autorität geltend zu machen. Michael reagierte nur sauer darauf. Er hatte jetzt selbst einen Sohn, er wußte, was sein Vater alles verspielt hatte. Jaffe wandte sich ab. »Ich muß gehen«, sagte er wieder und bot Juliet die Hand. »Ich bin froh, daß wir Gelegenheit hatten uns kennenzulernen. Schade, daß es nicht unter erfreulicheren Umständen möglich war.«
»Sehen wir Sie wieder?« fragte Juliet. Sie weinte. Die verwischte Wimperntusche bildete dunkle Schatten unter ihren Augen. Michael wirkte angespannt und gequält; aus Juliet brach der Schmerz heraus wie Wasser, das einen Damm durchbricht.
Selbst Jaffe schien betroffen von soviel offen zur Schau getragenem Gefühl. »Aber natürlich. Ganz bestimmt. Ich verspreche es.«
Sein Blick glitt zu Michael. Vielleicht hoffte er auf ein Zeichen von Emotion. »Es tut mir leid, daß ich dir Schmerz bereitet habe. Wirklich.«
Michael kreuzte in dem Bemühen, unberührt zu bleiben, die Arme über der Brust. »Ja. Klar. Sicher.«
Jaffe drückte das Kind an sich, preßte sein Gesicht in den Nacken des Kleinen und atmete seinen süßen kindlichen Duft. »Ach, du süßer kleiner Junge«, murmelte er mit zitternder Stimme.
Brendan grapschte nach Jaffes Haar, bekam eine Faustvoll zu fassen und versuchte, es in den Mund zu stecken. Jaffe verzog das Gesicht und löste behutsam die Finger des Kleinen aus seinem Haar. Juliet streckte die Arme nach ihrem Kind aus. Michael beobachtete die Szene stumm. Seine Augen wurden feucht. Er wandte sich ab.
Jaffe reichte Juliet das Kind zurück und küßte sie auf die Stirn, ehe er sich Michael zuwandte. Die beiden Männer umarmten sich fest und lang. »Ich liebe dich, mein Sohn.« Sie wiegten sich sachte hin und
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