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Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Titel: Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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darum, die Augen offenzuhalten. Ich stellte mir vor, wie all die Chemikalien aus dem ungesunden Zeug, das ich gegessen hatte, in meiner Blutbahn kreisten und diese narkotisierende Wirkung hervorriefen. Nein, so ging das nicht. Ich brauchte frische Luft. Ich mußte aufstehen und mich bewegen.
    Ich holte meine kleine Taschenlampe und das Einbrecherwerkzeug aus dem Handschuhfach, schob meine Handtasche ganz unter den Sitz und nahm eine Jacke vom Rücksitz. Dann stieg ich aus, sperrte den Wagen ab und eilte, vom teuflischen Verlangen zu schnüffeln getrieben, über die Straße zu Renatas Haus. Wirklich, es war nicht meine Schuld. Was kann ich denn dafür, wenn die Langeweile so übermächtig wird? Anstandshalber läutete ich erst, obwohl ich wußte, daß mir niemand öffnen würde. Und richtig, nichts rührte sich. Was soll ein Mensch da tun? Ich ging durch das Seitentor nach hinten.
    Ich huschte zum Steg, der unter mir zu schwanken schien. Renatas Boot, ironischerweise mit dem Namen Fugitive, war eine schnittige weiße Achtundvierzig-Fuß-Ketsch mit geräumiger Kajüte. Der Rumpf war aus Fiberglas, das Deck geöltes Teak mit Zierleisten aus poliertem Walnußholz und Beschlägen aus Messing und Chrom. Auf dem Boot konnten wahrscheinlich leicht sechs Personen schlafen, im Notfall auch acht. Zu beiden Seiten Waren zahllose andere Boote festgemacht, und Lichter schimmerten auf dem tiefen Schwarz des kaum bewegten Wassers. Was konnte Wendell Jaffes Zwecken dienlicher sein, als durch die Keys direkten Zugang zum Ozean zu haben? Vielleicht segelte er schon seit Jahren hier ein und aus, gänzlich anonym, gänzlich unentdeckt.
    Ich unternahm einen schwachen Versuch zu rufen, aber es erfolgte keine Reaktion von Bord. Das war nicht verwunderlich; das Boot war dunkel und in Persenning eingehüllt.
    Ich kletterte an Bord, stieg über Kabel und Taue. An drei Stellen zog ich den Reißverschluß der Umhüllung auf und schob das Material zurück. Die Kajüte war abgeschlossen, aber ich spähte im Licht meiner Taschenlampen durch die Luken und leuchtete den Wohnraum unten aus. Er war edel eingerichtet: wunderschöne Holztäfelung, Stoffe in sanften Sonnenuntergangsfarben. Renata hatte Proviant eingekauft — Konserven und in Flaschen abgefülltes Wasser, alles ordentlich in Kartons gestapelt —, der darauf wartete, verstaut zu werden. Ich hob den Kopf und ließ meinen Blick über die Häuser zu beiden Seiten schweifen. Nirgends war eine Menschenseele zu sehen. Ich musterte die Häuser gegenüber. Dort brannten viele Lichter, hin und wieder sah ich flüchtig auch Leute, aber ich hatte nicht den Eindruck, daß ich beobachtet wurde. Ich kroch über das Deck nach vom bis zur Luke über dem Schlafraum. Das Bett war ordentlich gemacht, und es waren einige persönliche Dinge zu sehen: Kleider, Taschenbücher, gerahmte Fotografien.
    Ich kehrte zur Kajüte zurück und setzte mich nieder, um mir das Zylinderschloß vorzuknöpfen, das im Holz zwischen meinen Knien eingelassen war. Ein Schloß dieses Typs hat im allgemeinen sieben Stifte, und man rückt ihm am besten mit einem auf dem Markt erhältlichen kleinen Werkzeug zu Leibe, das zu meiner Garnitur gehörte. Diese kleine Wunderwaffe besteht aus sieben dünnen Metallstäbchen, die sich so einstellen lassen, daß sie dem Profil eines Schlüssels entsprechen. Man braucht dann nur noch mit Gefühl ein bißchen hin- und herzuschieben und gleichzeitig zu drehen, dann klappt es schon.
    Ich bekam das Schloß schließlich auf, wenn auch nicht ohne ein paar ausgewählte Flüche. Ich steckte das Werkzeug ein, öffnete die Luke und stieg nach unten. Manchmal tut es mir leid, daß ich nicht bei den Pfadfindern geblieben bin. Ich hätte da sicher ein paar Ehrenurkunden für besondere Verdienste einheimsen können, für Einbruch zum Beispiel. Mit meinem Taschenlämpchen in der Hand ging ich durch den Wohnraum und durchsuchte jede Schublade und jedes Fach, das ich finden konnte. Ich wußte selbst nicht, was ich eigentlich suchte. Ein kompletter Reiseplan wäre ein Volltreffer gewesen; Karten voll auffälliger roter Pfeile und Sternchen. Auch ein Beweis für Wendell Jaffes Anwesenheit in diesen Gewässern wäre mir recht gewesen. Ich fand nichts von Interesse. Etwa zur gleichen Zeit, als mich die Geduld verließ, verließ mich auch das Glück.
    Ich schaltete die Taschenlampe aus und tauchte gerade oben aus der Luke, als Renata erschien. Plötzlich blickte ich direkt in die Mündung einer .357er Magnum. Die

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