Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser
verdammte Kanone war riesengroß und sah aus wie ein Ding, das der Marshall im Wildwestfilm im Holster trägt. Ich erstarrte augenblicklich, da ich mir wohl bewußt war, was für ein Loch so eine Kanone in lebenswichtige Teile der Anatomie reißen kann. Automatisch hob ich die Hände, universelle Geste des guten Willens und der Kooperationsbereitschaft. Renata schien das allerdings nicht zu wissen; ihre Haltung war feindselig und ihr Ton war aggressiv. »Wer sind Sie?«
»Ich bin Privatdetektivin. Mein Ausweis ist in meiner Handtasche und die liegt draußen im Auto.«
»Ist Ihnen klar, daß ich Sie für Ihr Eindringen in das Boot erschießen könnte?«
»Das ist mir klar, ja. Ich hoffe, Sie werden es nicht tun.«
Sie starrte mich an, vielleicht in dem Bemühen, meinen Ton zu deuten, der wahrscheinlich nicht so respektvoll war, wie sie es sich wünschte. »Was haben Sie da hinten getan?«
Ich drehte leicht den Kopf, als müßte ich erst einen Blick auf das »da hinten« werfen, um mich erinnern zu können. Ich kam zu dem Schluß, daß dies der falsche Moment für Lügen war. »Ich suche Wendell Jaffe. Sein Sohn ist heute morgen aus dem Gefängnis von Perdido County entlassen worden, und ich vermutete, daß die beiden Vorhaben, sich zu treffen.«
Ich dachte, sie würde sich dumm stellen und fragen, >Wer ist Wendell Jaffe?<, und wir würden mit diesem Spielchen erst mal eine Menge Zeit vertun, aber sie schien bereit, sich nach meiner Vorgabe zu richten. Von meinem weiteren Verdacht, daß nämlich Jaffe, Brian und Renata wahrscheinlich planten, sich mit eben diesem Boot hier abzusetzen, sagte ich nichts. »Übrigens, nur interessehalber, hat Wendell diese Freilassung aus dem Gefängnis arrangiert?«
»Möglich.«
»Wie hat er das angestellt?«
»Habe ich Sie nicht schon einmal gesehen?«
»In Viento Negro. Letzte Woche. Ich habe sie im Hacienda Grande aufgestöbert.«
Selbst in der abendlichen Dunkelheit sah ich, wie sie die Brauen hochzog, und ich beschloß, sie in dem Glauben zu lassen, ich mit meinen überlegenen detektivischen Fähigkeiten sei ihnen auf die Spur gekommen. Warum Dick Mills erwähnen, wenn er doch Jaffe nur aus Zufall entdeckt hatte? Sie sollte Respekt vor mir haben.
»Ich sage Ihnen was«, bemerkte ich im Konversationston. »Sie brauchen mich wirklich nicht mit dieser Kanone zu bedrohen. Ich bin selbst unbewaffnet, und ich tue bestimmt nichts Unüberlegtes.« Langsam senkte ich meine Arme. Ich erwartete, daß sie protestieren würde, aber sie schien es nicht einmal zu bemerken. Offenbar war sie unschlüssig, was sie als nächstes tun sollte. Sie konnte mich natürlich umlegen, aber Leichen sind so leicht nicht loszuwerden, und wenn man es nicht richtig anfängt, muß man mit einem Haufen Fragen rechnen. Plötzlich einen Deputy vom Sheriff’s Department vor ihrer Tür zu sehen, war bestimmt das letzte, was sie wollte.
»Was wollen Sie von Wendell?«
»Ich arbeite für die Gesellschaft, bei der sein Leben versichert war. Seine Frau hat gerade eine halbe Million Dollar kassiert, und wenn Wendell gar nicht tot ist, wollen die Leute ihr Geld wiederhaben.«
Ich sah, daß ihre Hand leicht zitterte; nicht aus Furcht, sondern weil die Kanone so schwer war. Es war der Moment zu handeln.
Ich stieß einen gellenden Schrei aus und knallte ihr den Unterarm aufs Handgelenk, daß es krachte. Ich glaube, es war der spitze Schrei, der bewirkte, daß ihre Hand an der Waffe sich lockerte. Die Kanone flog in die Luft wie ein Pfannkuchen, fiel aufs Deck und rutschte klappernd über die Planken zum Cockpit. Ich stieß Renata zurück, so daß sie das Gleichgewicht verlor, und hob die Waffe auf. Sie setzte sich auf ihre vier Buchstaben. Jetzt hatte ich die Kanone. Sie rappelte sich auf und hob die Hände. Das gefiel mir besser, wenn ich auch genausowenig wie sie vorher wußte, was ich nun tun sollte. Wenn ich angegriffen werde, bin ich der Gewalt fähig, aber keinesfalls würde ich auf sie schießen, während sie dastand und mich anstarrte. Ich konnte nur hoffen, daß sie das nicht wußte. Ich nahm kampflustige Haltung an — Beine gespreizt, Kanone mit beiden Händen umfaßt, Arme steif ausgestreckt. »Wo ist Wendell? Ich muß mit ihm reden.«
Ein ersticktes Quietschen drang aus ihrem Mund, und ihr Gesicht verzog sich, als sie zu weinen anfing.
»Hören Sie auf zu flennen, Renata. Antworten Sie mir gefälligst, sonst schieße ich in Ihren rechten Fuß. Ich zähle bis fünf.« Ich richtete die Waffe auf
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