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Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Titel: Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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her. Michael gab mit geschlossenen Augen einen gedämpften Laut von sich, der tief aus seinem Inneren kam. In diesem einen Moment völliger Offenheit waren er und sein Vater sich ganz nahe. Ich mußte mich abwenden. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie es war, den Vater zu umarmen, von dem man geglaubt hatte, er sei tot. Michael löste sich. Jaffe zog ein Taschentuch heraus und wischte sich die Augen. »Ich melde mich«, flüsterte er.
    Ohne sie noch einmal anzusehen, drehte er sich um und ging aus dem Zimmer. Seine Schuld lag ihm wahrscheinlich wie ein unendlich schweres Gewicht auf dem Herzen. Er ging durch das Haus zur Tür, und ich folgte ihm. Ich weiß nicht, ob er meine Anwesenheit wahrnahm; er erhob jedenfalls keine Einwände.
    Draußen war es kühl und feucht. Der Wind raschelte in den Bäumen. Die Straßenlampen waren von dichtbelaubten Zweigen fast ganz verdeckt, und auf der Straße jagten sich die Schatten. Ich hatte die Absicht, mich von dem Mann zu verabschieden, in meinen Wagen zu steigen und ihm dann in diskretem Abstand zu folgen, bis er mich zu Brian führte. Sobald ich den Jungen gefunden hatte, wollte ich die Bullen rufen. Ich sagte Jaffe gute Nacht und ging in der anderen Richtung davon.
    Ich weiß nicht, ob er mich überhaupt gehört hat.
    Ganz in Gedanken, zog Jaffe einen Autoschlüssel heraus und ging über den Rasen zu einem kleinen roten Maserati, der am Bordstein stand. Renata verfügte offenbar über eine ganze Autoflotte. Er schloß den Wagen auf und setzte sich ans Steuer. Er schlug die Tür zu.
    Ich stieg in meinen VW und steckte den Zündschlüssel ein. Im Kreuz spürte ich den Druck von Renatas Revolver. Ich zog ihn aus dem Hosenbund, drehte mich um, nahm meine Handtasche vom Rücksitz und verstaute die Waffe in ihr. Ich hörte das Mahlen des Motors von Jaffes Wagen. Ich startete den VW und wartete mit ausgeschalteten Scheinwerfern.
    Der Motor des Maserati mahlte und mahlte, aber er sprang nicht an. Es war ein schrilles, unproduktives Geräusch. Einen Moment später sah ich Jaffe aus dem Wagen steigen. Nervös sah er unter der Motorhaube nach. Er fummelte an den Kabeln, stieg wieder ein und versuchte erneut, den Motor zu starten. Ohne Erfolg. Es schien hoffnungslos zu sein. Ich legte den Gang ein, schaltete die Scheinwerfer an und fuhr langsam vor, bis ich neben ihm auf gleicher Höhe war. Ich kurbelte mein Fenster herunter. Er öffnete das seine ebenfalls.
    Ich sagte: »Steigen Sie ein. Ich fahre Sie zu Renata. Von da können Sie einen Abschleppwagen rufen.«
    Er überlegte einen Moment, warf einen raschen Blick zu Michaels Haus. Er hatte keine großen Möglichkeiten. Auf keinen Fall wollte er mit einem so prosaischen Anliegen wie einem Anruf beim Abschleppdienst noch einmal ins Haus gehen. Er stieg aus, schloß den Wagen ab und stieg in den VW.
    Ich bog an der Perdido Street rechts ab, fuhr dann vor dem Rummelplatz links bis zur Strandstraße und dann wieder links. Der Wind hatte ganz beträchtlich aufgefrischt, und über dem pechschwarzen Wasser des Ozeans hingen schwere Wolkenmassen.
    »Ich hatte Montagabend ein nettes Gespräch mit Carl«, bemerkte ich. »Haben Sie mit ihm besprochen?«
    »Ich wollte mich eigentlich später mit ihm treffen, aber er hatte auswärts zu tun«, antwortete Jaffe zerstreut.
    »Tatsächlich? Er meinte, er wäre zu wütend, um mit Ihnen zu reden.«
    »Wir haben geschäftliche Dinge zu klären. Er hat etwas, das mir gehört.«
    »Sie meinen das Boot?«
    »Ja, das auch, aber ich spreche von etwas anderem.«
    Der Himmel war anthrazitgrau, und weit draußen über dem Wasser wetterleuchtete es. Das Licht flackerte zwischen den dunklen Wolkenbänken und schuf eine Illusion von Artilleriefeuer, das zu fern war, um gehört werden zu können. Die Luft war von einer Art nervöser Energie erfüllt.
    Ich warf einen Blick auf Jaffe. »Interessiert es Sie nicht, wie wir Ihnen auf die Spur gekommen sind? Es wundert mich, daß Sie nicht fragen.«
    Seine Aufmerksamkeit war auf den flackernden Horizont gerichtet. »Ist doch egal. Irgendwann mußte es ja passieren.«
    »Hätten Sie was dagegen, mir zu verraten, wo Sie sich in all den Jahren aufgehalten haben?«
    Er starrte zum Seitenfenster hinaus, so daß ich sein Gesicht nicht sehen konnte. »Nicht weit von hier. Es würde Sie wundern zu hören, wie wenig ich umhergereist bin.«
    »Sie haben eine Menge dafür aufgegeben.«
    »Ja«, sagte er nur.
    »Waren Sie die ganze Zeit mit Renata zusammen?«
    »O ja«, antwortete er

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