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Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht

Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht

Titel: Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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einem stets wachsamen Auge im Rückspiegel gefahren, da ich es für möglich hielt, daß mir die Typen in der Großraumlimousine folgten. Welche Beschattungsmethoden sie auch anwandten, sie waren jedenfalls Profis. Seit ich diesen Fall angenommen hatte, war mir nie aufgefallen, daß ich überwacht wurde. Sogar jetzt hätte ich noch geschworen, daß mich niemand beobachtete.
    Ich parkte mein Auto mit der Schnauze nach vorn und blieb wie beim ersten Mal kurz sitzen, um den moosigen Geruch der Umgebung einzuatmen. Dann stellte ich meinen leeren Becher auf den Boden und holte die Taschenlampe und einen Schraubenzieher aus dem Handschuhfach. Ich stieg aus dem Auto und hielt kurz inne, um das abendliche Wetter zu taxieren. Schwach nahm ich das an- und abschwellende Rauschen der weit entfernten Schnellstraße wahr, eine dumpfe Brandung vorüberfahrender Autos. Die Luft war weich und kalt, und die Schatten bewegten sich in unberechenbarer Weise, als würden sie vom Wind getrieben. Ich ging auf die Hütte zu, während mein Magen vor Beklommenheit in Aufruhr geriet. Es verblüffte mich, wieviel ich über Lorna erfahren hatte, seit ich ihre Hütte zum ersten Mal gesehen hatte. Ich hatte die Fotos von ihrer Leiche so oft betrachtet, daß ich schon fast ein Bild von ihr vor Augen hatte, wie sie da gelegen hatte, als sie gefunden wurde: aufgeweicht, zersetzt, wieder in ihre Grundsubstanzen zerfallend. Wenn es auf dieser Welt Gespenster gab, war sie sicher eines von ihnen.
    Die Nacht war diesig, und ich konnte vom Meer her das periodische Klagen eines Nebelhorns hören. Die nächtliche Brise wirkte gesättigt, voll vom Duft der Vegetation. Ich durchbrach die Dunkelheit mit dem Lichtstrahl meiner Taschenlampe. Der Garten, den Leda angelegt hatte, war wirr und überwuchert, und versprengte Tomatenranken bahnten sich ihren Weg zwischen abgestorbenen, papierenen Maisstengeln. Ein paar Zwiebelableger hatten die letzte Ernte überlebt. Wenn erst einmal der Frühling kam, würde sich der Garten, sogar wenn er sich selbst überlassen blieb, wieder erholen.
    Ich stand im Vorgarten und studierte die Hütte, indem ich außen um sie herumging. Ich konnte nichts Nennenswertes entdecken: Erde, totes Laub, Flecken vertrockneten Grases. Dann stieg ich die Stufen zur Veranda hoch. Die Tür war immer noch ausgehängt. Ich klopfte sie ab, um festzustellen, ob sie hohl war, aber sie gab nicht nach, sondern erwies sich als kräftig und massiv. Ich schaltete die
    Deckenlampe ein. Das düstere Licht der Vierzigwattbirne tauchte die Konturen des Raumes in fahles Gelb. Langsam und gründlich musterte ich alles. Wo würde ich zwanzigtausend Dollar in bar verstecken? Ich fing am Eingang an und arbeitete mich nach rechts vor. Die Hütte war miserabel isoliert, und es schien nicht viele Ecken und Winkel zu geben. Ich klopfte und bohrte und steckte meinen Schraubenzieher in jeden Spalt und jede Ritze. Ich kam mir vor wie ein Zahnarzt auf der Suche nach Löchern.
    Die Küche schien die meisten Möglichkeiten für Verstecke zu bieten. Ich zog Schubladen heraus, maß die Tiefe von Schränkchen ab und suchte nach Abweichungen, die auf ein Geheimfach schließen ließen. Ich kroch auf dem Fußboden entlang und machte mich schmutzig. Bestimmt hätten die Polizisten das auch getan... wenn sie gewußt hätten, wonach sie suchen mußten.
    Als nächstes versuchte ich mein Glück im Badezimmer, wo ich mit meiner Taschenlampe hinter und in den Spülkasten der Toilette sah und nach losen Fliesen suchte. Ich nahm das Medizinschränkchen von der Wand und äugte in die Verschalung dahinter. Dann durchsuchte ich die Nische, wo ihr Bett gestanden hatte, und prüfte die metallene Bodenplatte im Wohnzimmer, auf der der Holzofen angebracht gewesen war. Nichts. Was auch immer Lorna mit ihrem Geld zu tun pflegte, sie bewahrte es jedenfalls nicht zu Hause auf. Wenn sie Schmuck oder große Geldsummen besessen hatte, so hatte sie diese nicht in einem Versteck untergebracht. Nein, ich muß mich korrigieren. Was auch immer sie mit ihren Wertsachen gemacht hatte, ich wußte jedenfalls nicht, wo sie waren. Vielleicht war mir schon jemand zuvorgekommen, oder vielleicht hatte sie, wie Cheney angedeutet hatte, das Geld anderweitig ausgegeben. Ich beendete meine Suche mit einer zweiten gründlichen Musterung und war unzufrieden.
    Zufällig fiel mein Blick auf den Klingelkasten. Das Gehäuse war abgezogen worden, und ich beugte mich vor, um mit meinem Schraubenzieher das Innere zu untersuchen.

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