Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht
Einen Moment lang hoffte ich, daß ein Geheimfach aufspringen und ein Bündel Geldscheine hervorquellen würde. Als unverbesserliche Optimistin hoffe ich immer auf solche Glücksfälle. Jedoch passierte natürlich überhaupt nichts, und ich fand lediglich das Ende eines Kabels. Ich hatte den Mechanismus einer Türklingel noch nie richtig gesehen, aber dieses Kabel kam mir merkwürdig vor. Ich stand einen Augenblick lang da und starrte es an, dann beugte ich mich näher heran und blinzelte. Was war das?
Ich ging hinaus und die knarrenden Stufen hinunter. Die vordere Veranda stand auf Betonpfeilern in knapp einem Meter Höhe, und der Zwischenraum verringerte sich hinten, wo der Boden anstieg. Die Absicht war vermutlich gewesen, Feuchtigkeit von den Bodenbrettern fernzuhalten. Das Ergebnis war ein mit Schlacke bestreuter, niedriger Zwischenraum, den man mit Holzlatten verkleidet hatte. Ich kniete mich neben die Latten und schob die Finger durch die Löcher. Dann zog ich so heftig daran, daß ein kleiner Teil herausbrach und mir erlaubte, unter die Hütte zu sehen. Es war stockfinster. Ich taxierte die Fläche im Strahl meiner Taschenlampe und kam so in den Genuß zahlreicher Weberknechte, die auf mich zuhüpften, um mich abzuschrecken.
Auf der Erde lag ein flaches Stück Sperrholz, auf dem ein paar Gartengeräte lagen. Ich stand wieder auf und versuchte, die Lage des Klingelkastens zu erfassen. Dann veränderte ich meine Position entsprechend und leuchtete mit der Taschenlampe die Balken entlang. Ich konnte erkennen, wo das grüne Kabel durch den Fußboden kam. Es war in großen Abständen an die Balken geklammert worden und lief auf die Ecke der Veranda zu. Ich würde mich darunterquetschen müssen — kein angenehmer Gedanke angesichts der ganzen Spinnen, die im Dunkeln lauerten.
Zögernd ließ ich mich auf Hände und Fußballen nieder und kroch in den Zwischenraum. Die Spinnenjungen beäugten mich erschrocken, und viele von ihnen flohen in Spinnenpanik. Später würden sie verängstigt über die Unberechenbarkeit von Menschen diskutieren. »Iiih. Diese ganzen Finger«, würden sie sagen.»Und diese riesigen, gräßlichen Füße. Sie kommen einem immer so vor, als stünden sie kurz davor, einen zu zerquetschen.« Und die Spinnenmütter würden sie trösten. »Die meisten Menschen sind völlig harmlos, und sie haben genausoviel Angst vor uns wie wir vor ihnen«, würden sie sagen.
Ich reckte den Kopf vor und ließ den Strahl meiner Taschenlampe über die Unterseite der Veranda gleiten. Genau auf Augenhöhe war ein lederbezogener Kasten am Holz befestigt. Mit dem flachen Ende meines Schraubenziehers löste ich die Klammern. Der Kasten war staubig und an den Stellen, wo das Leder zu verwittern begonnen hatte, fleckig. Ich kroch wieder unter der Veranda hervor, klopfte mir die Hände ab, wischte Kies und Erde von meinen Jeans und schaltete die Taschenlampe aus. Dann ging ich in die Hütte zurück, um meinen Fund zu untersuchen. Was ich in der Hand hielt, sah aus wie die Schutzhülle für ein kleines, tragbares Radio oder einen Kassettenrecorder, mit Löchern am einen Ende, in die man Kopfhörer oder ein Mikrophon stecken konnte. Am anderen Ende befand sich eine Aussparung für den Lautstärkeregler. Es mußte eine Abhöranlage sein, die zwar in keiner Weise raffiniert, aber vermutlich funktionstüchtig war. Vor einigen Jahren hatte mir jemand etwas Ähnliches in die Wohnung geschmuggelt, und ich war nur durch Zufall darauf gestoßen. In der Zwischenzeit hatte der durch Stimmen aktivierte Recorder meinen Teil aller Telefongespräche, sämtliche auf meinem Anrufbeantworter eingehenden Nachrichten und alle Gespräche in meiner Wohnung aufgezeichnet.
Irgend jemand hatte Lorna nachspioniert. Freilich war denkbar, daß Lorna die Anlage selbst installiert hatte, aber nur, wenn sie einen Grund dafür hatte, alle ihre Gespräche akustisch zu dokumentieren. Wenn das der Fall gewesen wäre, so hätte sie den Recorder in ihrer Hütte aufgestellt, wo der Empfang gut und die Bänder leichter zu wechseln waren. Etwas wie das hier, das an der Unterseite der Hütte befestigt worden war, würde unweigerlich zahlreiche Nebengeräusche mit aufzeichnen.
Mann o Mann, dachte ich, wen kenne ich denn, der Zugang zu allen Arten von Abhöranlagen hat? Könnte es sich um Miss Leda Selkirk handeln, die Tochter des Privatdetektivs, dem einmal die Lizenz entzogen wurde, weil er bei jemandem eine Wanze installiert hatte? Ich schaltete meine
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