Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht
mich entdeckt, sowie ich das Lokal betreten hatte und kam mit einer Kaffeekanne an meinen Tisch. Vor mir stand ein Gedeck: Serviette, Besteck und eine umgedrehte, dicke, weiße Keramiktasse auf einem dazu passenden Unterteller. Ich drehte die Tasse um, und Janice füllte sie. Ich ließ sie stehen, damit sie nicht sah, wie stark mir die Hände zitterten.
»Sie sehen aus, als könnten Sie das vertragen«, meinte sie. »Sie sind weiß wie die Wand.«
»Können wir uns unterhalten?«
Sie sah sich um. »Sowie die Leute an Tisch fünf gehen«, sagte sie. »Ich lasse Ihnen das hier.« Sie stellte die Kanne auf den Tisch und ging zu ihrer Arbeit zurück. Unterwegs holte sie an der Durchreiche zur Küche ein Essen ab.
Als sie zurückkam, brachte sie eine überdimensionale Zimtschnecke und zwei Klötzchen Butter in Silberpapier mit. »Ich habe Ihnen einen Happen zu essen mitgebracht. Sie sehen aus, als könnten Sie einen kleinen Schuß Zucker zu Ihrem Koffein gebrauchen.«
»Danke. Sieht gut aus.«
Sie nahm mir gegenüber Platz und paßte dabei auf, ob neue Gäste hereinkamen.
Ich packte beide Klötzchen aus, brach einen Streifen des heißen Gebäcks ab, butterte und verspeiste ihn und hätte dabei beinahe laut gestöhnt. Der Teig war weich und feucht, und zwischen den Schlingen tropfte die Glasur herunter. Nichts weckt den Appetit auf solche Magentröster besser als Angst. »Phantastisch. Ich könnte süchtig werden. Paßt es Ihnen jetzt nicht?«
»Momentan schon, aber vielleicht muß ich zwischendurch weg. Ist mit Ihnen alles in Ordnung? Sie scheinen ganz außer sich zu sein.«
»Mir geht’s gut. Ich muß Sie ein paar Dinge fragen.« Ich hielt inne, um mir die Butter von den Fingern zu lecken. Anschließend wischte ich sie an einer Papierserviette ab. »Wußten Sie, daß Lorna an dem Wochenende, als sie starb, in Las Vegas hätte heiraten sollen?«
Janice sah mich an, als hätte ich begonnen, in einer fremden Sprache zu sprechen, und sie wartete nun darauf, daß unten auf der Leinwand die Untertitel erschienen. »Wo in aller Welt haben Sie denn das gehört?«
»Glauben Sie, daß etwas dran ist?«
»Bis zu dieser Sekunde hätte ich gesagt, ausgeschlossen. Jetzt, wo Sie es erwähnen, bin ich mir nicht mehr so sicher. Möglich wäre es schon«, meinte sie. »Es könnte ihr Verhalten erklären, das ich damals überhaupt nicht nachvollziehen konnte. Sie wirkte aufgeregt. Wirklich, als wollte sie mir etwas erzählen, hätte sich aber beherrscht. Sie wissen ja, wie Kinder sind... Na ja, vielleicht wissen Sie es auch nicht. Wenn Kinder ein Geheimnis haben, können sie es kaum für sich behalten. Sie brennen dermaßen darauf, es zu erzählen, daß sie es gar nicht aushalten, und deshalb plaudern sie es meistens von selbst aus. Genauso verhielt sie sich. Damals habe ich mir das nicht bewußt gemacht. Ich habe es gemerkt, weil es mir sofort in den Sinn kam, als Sie das erwähnt haben, aber damals habe ich sie nicht bedrängt. Wen wollte sie denn heiraten? Soweit ich weiß, hatte sie nicht einmal einen festen Freund.«
»Ich weiß nicht, wie der Mann heißt. Ich vermute, er war aus Los Angeles.«
»Aber wer hat es Ihnen gesagt? Woher wissen Sie von ihm?«
»Sein Anwalt hat sich vor kurzem mit mir in Verbindung gesetzt. Im Prinzip hätte es auch der Mann selbst sein können, und er hat mich an der Nase herumgeführt. Schwer zu sagen.«
»Warum haben wir nicht schon früher von ihm gehört? Sie ist seit zehn Monaten tot, und ich höre heute zum ersten Mal davon.«
»Vielleicht haben wir endlich angefangen, im richtigen Sumpf zu fischen«, sagte ich.
»Möchten Sie, daß ich meine Töchter frage, ob sie ihnen irgend etwas erzählt hat?«
»Ich weiß nicht, ob es von Belang ist. Ich habe keinen Grund zu der Annahme, daß die Geschichte fingiert ist. Man müßte nur ein paar Einzelheiten klären.«
»Was noch? Sie sagten, Sie wollten Verschiedenes fragen.«
»Am zwanzigsten April — dem Tag vor ihrem Tod — hat sie ein Sparkonto aufgelöst, das sie unten in Simi Valley besaß. Es hat den Anschein, als hätte sie ungefähr zwanzigtausend Dollar abgehoben, entweder in bar oder als Scheck. Es wäre auch möglich, daß sie das Geld auf ein anderes Konto eingezahlt hat, aber ich kann keine dahingehenden Unterlagen finden. Sagt Ihnen das irgend etwas?«
Sie schüttelte langsam den Kopf. »Nein. Überhaupt nichts. Weder Mace noch ich sind auf irgendwelche nennenswerten Geldbeträge gestoßen. Ich hätte es angegeben, da ich
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