Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer
an ihrem Verhalten hatte sich verändert. Cordia trat zurück und ließ mich hinein. Wie zuvor war die Wohnung unangenehm überheizt, an die siebenundzwanzig Grad, und die Fenster waren beschlagen. Dampf wallte aus einem Topf, der auf dem Herd köchelte. Die brodelnde Flüssigkeit war trüb, und ein Schaumrand hatte sich auf ihrer Oberfläche gebildet. Die Luft roch nach versengtem Schweinefleisch und etwas anderem, das mir fremd war, aber entfernt nach Mist stank. Der Fernsehton war abgestellt worden, doch das Bild war noch da: die spätnachmittäglichen Nachrichten mit ihrer endlosen Tirade von Katastrophen. Belmira wirkte wie erstarrt. Sie saß am Küchentisch, die Tarotkarten in der Hand, während unter ihrem Stuhl Dorothy an einem knochigen Bündel von etwas nagte, das knackte und tot war.
»Komme ich ungelegen?«
»So gelegen wie sonst auch«, antwortete Cordia.
»Ich kann nämlich auch später wiederkommen, wenn Ihnen das besser passt.«
»Es passt schon.« Sie trug ein langärmliges Hauskleid aus Baumwolle in Mauve- und Grautönen mit einer kittelartigen Schürze darüber, die fast bis zum Boden reichte. Sie drehte sich zum Herd und griff nach einem Schaumlöffel, mit dessen Hilfe sie die Zutaten in dem kochenden Wasser umschichtete. Etwas trieb an die Oberfläche: herzförmiger Schädel, kurzer Leib mit nicht viel Fleisch. Ich hätte schwören können, dass es ein Eichhörnchen war.
»Wie ist es Ihnen beiden denn ergangen?«, fragte ich und hoffte auf eine Antwort, die mich ins Bild setzen würde.
»Gut. Uns geht’s bestens. Und was können wir für Sie tun?«
Kurz angebunden, sachlich, nicht gerade freundlich, dachte ich. »Ich fahre weg und muss vorher in Mickeys Wohnung nach etwas suchen, das jemand bei ihm gelassen hat.«
Ihr Tonfall klang genervt. »Schon wieder? Sie waren doch erst gestern Abend drinnen. Wir haben bis kurz vor Mitternacht Lichter gesehen.«
»Bei Mickey? Ich war das nicht. Ich war das ganze Wochenende in Santa Teresa. Ich bin seit Donnerstagmorgen nicht mehr hier gewesen«, sagte ich.
Sie musterte mich, offenbar nicht überzeugt.
»Cordia, ich schwöre es. Wenn ich die Wohnung hätte betreten wollen, hätte ich um den Schlüssel gebeten. Ich würde nicht ohne Erlaubnis hineingehen.«
»Beim ersten Mal haben Sie es getan.«
»Aber das war, bevor wir uns kannten. Sie haben mir sehr geholfen. Ich würde das nicht hinter Ihrem Rücken tun.«
»Ich will mich nicht mit Ihnen streiten. Ich kann es nicht beweisen.«
»Aber warum sollte ich jetzt hier sein, wenn ich bereits gestern Abend drin gewesen wäre? Das ist doch unlogisch. Hat noch jemand anders einen Schlüssel?«
»Niemand, der nicht berechtigt ist«, sagte sie spröde. Sie griff in ihre Tasche und nahm den Schlüssel heraus. »Geben Sie ihn zurück, wenn Sie fertig sind, und dann wollen wir hoffen, dass es das letzte Mal war.«
»Natürlich.« Ich nahm den Schlüssel und merkte, dass ihre Art nach wie vor eisig und verhärtet war. Ich fühlte mich schrecklich.
»Ach du liebe Zeit!«, stieß Belmira hervor. Sie hatte vier Karten umgedreht. Die erste war der Schwertbube, der, wie ich inzwischen wusste, für mich stand. Die anderen drei Karten waren der Teufel, der Mond und der Tod. Na, das war ja heiter. Bel sah mich gequält an.
Cordia trat rasch an den Tisch und riss ihr die Karten weg. Dann ging sie zur Spüle, zog den Schrank darunter auf und warf sie in den Müll. »Ich habe dich gebeten, das Kartenlegen sein zu lassen. Sie glaubt nicht an Tarot. Das hat sie dir letzte Woche schon gesagt.«
Ich sagte: »Cordia, also wirklich...«
»Gehen Sie rauf in die Wohnung und bringen Sie’s hinter sich«, fauchte sie.
Belmiras Jammer war fast greifbar, doch sie wagte es nicht, gegen Cordia aufzubegehren. Ich übrigens auch nicht. Ich steckte den Schlüssel ein und ging hinaus. Bevor sich die Tür hinter mir schloss, hörte ich, wie Bel gegen ihren Verlust protestierte.
Ich schloss Mickeys Wohnungstür auf und ging hinein. Seine Vorhänge waren immer noch zugezogen und sperrten das Licht aus — abgesehen von einem schmalen Spalt zwischen zwei Bahnen, wo die Spätnachmittagssonne wie ein Laserstrahl hereinschien und das Innere erwärmte. In der Luft hingen die Staubflöckchen mit ihrem modrigen Geruch nach unbewohntem Raum. Ich blieb einen Moment lang stehen und sah mich um. Da niemand sauber gemacht hatte, waren viele Flächen noch immer mit Fingerabdruckpulver verschmiert. Falls am Vorabend jemand in der Wohnung
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