Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer
den VW auf dem Motel-Parkplatz stehen und fuhr mit dem Zubringerbus zum Flughafen, wo ich meinen Siebenuhrflug nahm. Sowie das »Rauchen-verboten«-Schild ausging, steckten sich sämtliche Passagiere im hinteren Teil Zigaretten an.
Auf dem Flughafen von Tulsa, wo ich auf meinen Anschlussflug wartete, machte ich eine Entdeckung, die mich über die Maßen aufheiterte. Ich musste eine Stunde totschlagen, und so lümmelte ich mich auf einen Stuhl, die Beine in den Gang vor mir gereckt. Die Stellung war zwar unbequem, ermöglichte mir aber zumindest ein kleines Nickerchen, obwohl ich vermutlich hinterher Hunderte von Dollars für chiropraktische Behandlungen ausgeben müsste. Bis dahin benutzte ich Mickeys Lederjacke als Kissen und versuchte so die Belastung für meinen Nacken zu verringern. Ich drehte mich auf die Seite, was alles andere als einfach ist, wenn man auf einem Stuhl sitzt. Dabei spürte ich etwas Klumpiges an meinem Gesicht — den Schieber eines Metallreißverschlusses oder einen Knopf. Ich wusste nicht, was es war, außer dass es mir derartiges Unbehagen bereitete, dass es nicht auszuhalten war. Ich richtete mich auf und untersuchte den Teil der Jacke, der sich unter meiner Wange befand. Zu sehen war nichts, aber indem ich das Leder abtastete, spürte ich, dass im Futter ein Gegenstand steckte. Ich zog die Jacke auf meinem Schoss auf und musterte die Naht, bis ich eine Abweichung in den Stichen entdeckt hatte. Dann fasste ich in meine Umhängetasche, holte die Nagelschere heraus (dieselbe, die ich gelegentlich zum Haareschneiden verwende), trennte ein paar Stiche auf und verbreiterte die Öffnung dann mit den Fingern. Zum Vorschein kamen Duncan Oaks’ Hundemarken, der Schwarzweißschnappschuss und sein Presseausweis. Das Versteck war absolut genial. Mickey hatte die Jacke vermutlich getragen, als er selbst diese Reise angetreten hatte.
Auf den Hundemarken standen Name und Geburtsdatum von Duncan Oaks. Selbst nach all den Jahren war die Kette noch mit Blut oder Rost verkrustet. Das Foto war genauso, wie es Duffy beschrieben hatte. Ich legte diese Gegenstände fürs Erste beiseite und studierte den Presseausweis, der vom Verteidigungsministerium ausgestellt worden war. Der gedruckte Text am Rand erklärte: »Ein Verlust dieser Karte muss unverzüglich gemeldet werden. Eigentum der Regierung der U.S.A.« Unter der Zeile, die »Identitätsnachweis für nicht an Kampfhandlungen Beteiligte« lautete, stand der Name Duncan Oaks, und links davon war sein Bild. Dunkelhaarig und ohne ein Lächeln sah er sehr jung aus, was er natürlich auch war. Ausstellungsdatum war der zehnte September 1965. Er hatte die High School gerade vier Jahre hinter sich und war dreiundzwanzig Jahre alt. Ich musterte sein Gesicht. Irgendwie kam er mir bekannt vor, obwohl ich mir nicht denken konnte, weshalb. Ich drehte die Karte um. Hinten drauf hatte er einen Streifen geklebt, auf den er geschrieben hatte: »Im Notfall bitte Porter Yount (Chefredakteur der Louisville Tribune) verständigen«.
24
Mein Flugzeug landete um zwanzig nach fünf in Louisville, Kentucky, und zwar auf einem derart abgelegenen Flugsteig, dass er den Eindruck erweckte, er sei entweder aufgegeben worden oder stünde unter Quarantäne. Ich war schon einmal in Louisville gewesen, vor sechs Monaten, als eine wilde Überlandfahrt auf einem dortigen Friedhof geendet hatte, wo ich unverdienterweise einen Schlag auf den Kopf bekam. Genau wie jetzt hatte mich auch die Sache damals einen schönen Batzen Geld gekostet, ohne dass ich mir Hoffnung darauf machen konnte, die erlittenen Verluste je wieder auszugleichen.
Auf meinem Weg durchs Flughafengebäude blieb ich an einer öffentlichen Telefonzelle stehen und sah das örtliche Telefonbuch durch, da Yount ja womöglich darin verzeichnet war. Ich nahm an, dass der Name selten war und es in Louisville und Umgebung nicht viele davon geben konnte. Die Bibliothekarin der High School hatte mir gesagt, dass die Tribune vor etwa zwanzig Jahren von einem Konsortium aufgekauft worden war. Ich stellte mir Porter Yount als betagten Rentner vor, falls er überhaupt noch lebte. Ausnahmsweise ließ mich mein Glück einmal nicht im Stich, und ich fand Adresse und Telefonnummer eines Porter Yount, von dem ich annahm, dass er der Gesuchte war. Laut Telefonbuch lebte er im i50oer-Block der Third Street. Ich notierte mir die Adresse und ging zur Ebene der Gepäckausgabe, wo ich meine Kreditkarte zückte und die Schlüssel für meinen
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