Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer
Gedanken freien Lauf. Ich hatte zwar einige Punkte hinzugefügt, konnte aber immer noch nicht sämtliche Linien erkennen, die sie verbanden. Duncan Oaks schien der Dreh- und Angelpunkt zu sein. Ich spürte seine Gegenwart wie die Nabe eines riesigen Rades. Ich konnte die in ihrer gemeinsamen Heimatstadt begründete Beziehung zwischen ihm und Benny Quintero nachzeichnen. Zwei Gleichaltrige, Schulsportler, die in derselben Position in gegnerischen Football-Mannschaften gespielt hatten und deren Wege sich Jahre später auf der blutgetränkten Erde von la Drang wieder gekreuzt hatten. Danach war Duncan Oaks verschwunden, aber Quintero hatte überlebt und Duncans Hundemarken, seinen Presseausweis und einen Schnappschuss behalten. Außerdem konnte ich Duncan Oaks mit Laddie Bethel, geborene Darlene LaDestro, in Verbindung bringen, die mit ihm zur Schule gegangen war. Doch von da an wurden die Vorgänge verworrener. Laddie war jetzt mit dem Anwalt verheiratet, der meinen Exmann vertreten hatte, als dieser sieben Jahre später verdächtigt wurde, Benny Quintero erschlagen zu haben.
Ich ließ den Wagen an und fuhr zu meinem Motel zurück. Selbst ohne die Querverbindungen begann sich ein Bild zu ergeben, zwar noch grob und ungenau, aber eines, das Mickey auch erkannt haben musste. Nur leider hatte ich keinerlei Beweise dafür in der Hand, dass vor all den Jahren überhaupt ein Verbrechen begangen worden war, geschweige denn, dass es jetzt und hier derart tragische Konsequenzen nach sich gezogen hatte. Doch es war einfach logisch. Irgendeine Verquickung der Ereignisse hatte zum Mord an Benny Quintero und den Schüssen auf Mickey Magruder geführt. Ich musste eine Geschichte zusammenfügen, die sämtliche Mitspieler einbezog und ihre Schicksale sinnvoll miteinander verwob. Wenn das Leben ein Theaterstück ist, dann gibt es eine logische Erklärung, eine zu Grunde liegende Geschichte, die alles in einen Zusammenhang stellt, wie wirr es anfangs auch erscheinen mag.
Bevor ich am nächsten Morgen zurückflog, rief ich bei Porter Yount an und fragte ihn, ob er mir die Artikel besorgen könne, die Duncan Oaks geschrieben hatte, bevor er nach Vietnam fuhr. Nach einigem Hin und Her sagte er, er wolle sehen, was er tun könne. Ich gab ihm meine Adresse und einen dicken Kuss durchs Telefon und sagte ihm, er solle auf sich aufpassen und ich würde mich wieder bei ihm melden. Der Flug nach Hause verlief reibungslos, obwohl er mich den größten Teil des Tages kostete: von Louisville nach Tulsa, von Tulsa nach Santa Fe, von Santa Fe nach Los Angeles, wo ich mit dem Zubringerbus zum Motel fuhr, meinen VW abholte und die anderthalb Stunden nach Hause fuhr. Nach den tatsächlich in der Luft verbrachten Stunden, dem Warten zwischen den Anschlussflügen und der Fahrerei am Schluss kam ich um halb fünf Uhr nachmittags an. Ich war gereizt, müde, hungrig, hatte schlaff herabhängende Haare und fettige Haut. Außerdem fühlte ich mich ausgetrocknet von den vielen Nüssen, die ich an Stelle von richtigen Mahlzeiten den ganzen Tag gefuttert hatte. Ich musste mir selbst ein paar Tritte versetzen, um nicht laut aufzujaulen.
Sowie ich nach Hause kam, setzte ich mich an meinen Schreibtisch und zog Mark Bethels Lebenslauf aus der untersten Schublade, in die ich ihn am Samstag gelegt hatte. Auf der ersten Seite nannte er unter Geburtsort und Geburtsdatum Dayton, Ohio, und den i. August 1942.. 1965 hatte er sein Studium an der Universität Kentucky mit einem B.A. abgeschlossen. Unter Militärdienst stand »U.S. Army«, wobei er sein Verwundetenabzeichen bescheiden weggelassen hatte. Am nächsten Morgen würde ich mit Erdnussbutter auf dem Gaumen Judy anrufen und mich als Journalistin ausgeben, damit ich die Fakten genauer eingrenzen konnte. Wenn Mark in Ia Drang gewesen war, wäre ich einer Vervollständigung des Bildes, das fast fertig war, einen weiteren Schritt näher gekommen.
Ich zog mich aus, stieg unter die Dusche und wusch mir die Haare. Dann putzte ich mir die Zähne, zog mich wieder an und trottete die Wendeltreppe hinunter. Mein nächster Gedanke war, mich noch einmal mit Carlin Duffy zu unterhalten und ihm in Kurzform davon zu berichten, was ich in Louisville in Erfahrung gebracht hatte, obwohl ich momentan noch gar nicht genau wusste, was ich damit anfangen sollte. Ich würde mich auf die Fakten beschränken und die Spekulationen und Mutmaßungen beiseite lassen, mit denen ich noch spielte. Die Kontaktaufnahme war im Grunde eine
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