Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer
zu den Ausstellungsräumen in Westlake und Thousand Oaks beförderten. Als ich die Hügel überquert hatte und ins San Fernando Valley hinabrollte, sah ich, dass der Dunstschleier des Smogs sich bereits zu sammeln begonnen hatte. Die San Gabriel Mountains, die oft nicht zu erkennen sind, waren heute zumindest sichtbar. Jedes Mal, wenn ich hier entlangkam, wurde etwas Neues gebaut. Plötzlich erschien auf der Hügelkuppe etwas, das ein komplettes Dorf zu sein schien, oder hinter einer Baumgruppe tauchte ein Neubaugebiet mit identischen Eigenheimen auf. Werbetafeln verkündeten die Verfügbarkeit neuer Wohngebiete, von denen noch nie jemand gehört hatte.
Über mir kreisten zwei gelbe Flugzeuge, das eine hinter dem anderen, während beide uns hier unten aus der Luft überwachten. Der Straßenrand war von Müll übersät, und einmal kam ich an einem dieser verblüffenden Stücke gelockten Reifenprofils vorbei, die jeder Erklärung trotzen. Nachdem ich Sherman Oaks erreicht hatte, bog ich nach rechts auf den San Diego Freeway ein. Das Laub am Straßenrand wurde vom ewigen Wind der vorüberrasenden Fahrzeuge gepeitscht. Mehrere hoch aufragende Bürogebäude behinderten die Sicht wie rücksichtslose Zuschauer an der Route eines Festumzugs. Ich nahm die Ausfahrt Sunset Boulevard und fuhr weiter Richtung Osten, bis zu meiner Rechten der Campus des UCLA zu sehen war. Ich bog nach rechts in die Hilgard Avenue ein, noch einmal rechts auf die Le Conte und wieder rechts auf den Tiverton Drive, wo ich einen Parkschein erwarb. Auf Straßenniveau war das Parkhaus belegt. Also begann ich meinen Abstieg in die tieferen Ebenen, indem ich im Kreis immer weiter und weiter nach unten fuhr, bis ich endlich auf C1 eine Lücke fand.
Ich sperrte mein Auto ab und fuhr mit dem Aufzug nach oben. Der weite, von Rasenflächen und Beton geprägte Platz diente sowohl der Jules-Stein-Augenklinik als auch der Uni-Klinik. Ich ging zum Haupteingang hinüber und betrat die Halle mit ihren Wänden aus poliertem Granit und dem in zweierlei Grautönen gehaltenen Teppich, der am Rand mit einem altrosa Streifen verziert war. Die Rezeption auf der rechten Seite war von Menschen umlagert, die auf Neuigkeiten über Freunde und Verwandte warteten, die gerade operiert wurden. Zwei Schulmädchen in Shorts und T-Shirts spielten auf dem Fußboden Karten. Ich sah Babys auf Kindersitzen und einen Säugling im Sportwagen, der gerötet und schwitzend schlief. Andere lasen Zeitung oder plauderten leise, während ein endloser Strom von Besuchern in beiden Richtungen die Halle durchquerte. Die Stühle und Pflanzenkübel in der Halle waren kastenförmige graue Module. Der Geschenkeladen zur Linken trug eine Fassade in einem merkwürdigen Farbton irgendwo zwischen Malve und Orchidee. Eine große Vitrine barg exemplarische Blumenarrangements, für den Fall, dass man jemanden besuchen wollte, aber nicht an ein Sträußchen gedacht hatte.
Direkt vor mir, über dem Empfangsschalter, hing in großen Lettern das Wort AUSKUNFT. Ich wartete, bis ich an der Reihe war, und fragte dann eine Mrs. Lewis, ihres Zeichens ehrenamtliche Mitarbeiterin für Auskünfte über Patienten, nach Mickey Magruders Zimmernummer. Sie war vermutlich weit über Siebzig, und ihre Augenlider waren so zerknittert wie die einer Schildkröte. Das Alter hatte messerscharfe Falten in die dünne Haut ihrer Wangen gezeichnet, und ihre Lippen waren schmollend gekräuselt. Sie sah rasch ihre Unterlagen durch und schüttelte dann bedauernd den Kopf. »Ich habe hier niemanden mit diesem Namen. Wann wurde er denn aufgenommen?«
»Am vierzehnten. Er könnte auch als Michael eingetragen sein. So lautet sein Name auf der Geburtsurkunde.«
Sie notierte sich den Namen und konsultierte eine andere Quelle. Ihre Knöchel waren vor Arthritis ganz knotig, doch sie besaß eine zierliche Schrift. »Tja, ich weiß nicht, was ich Ihnen sagen soll. Könnte es sein, dass er entlassen wurde?«
»Das bezweifle ich. Ich habe gehört, dass er im Koma liegt.«
»Womöglich wurde er in unsere andere Klinik in Santa Monica in der 16th Street verlegt. Soll ich mich dort erkundigen?«
»Da wäre ich Ihnen dankbar. Ich bin den ganzen Weg von Santa Teresa hierher gefahren und möchte nur ungern zurückkehren, ohne ihn gefunden zu haben.«
Ich betrachtete sie beiläufig, während sie wählte und mit jemandem am anderen Ende sprach. Schon bald legte sie wieder auf, offenbar ohne Erfolg. »Dort ist er auch nicht verzeichnet. Vielleicht
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