Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer
versuchen Sie es im St. John’s Hospital oder im Cedars-Sinai.«
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass er hierher gebracht wurde. Ich habe gestern mit den Kriminalbeamten gesprochen, und sie haben es mir so gesagt. Er wurde am Mittwoch letzter Woche am frühen Morgen eingeliefert. Er wurde zweimal angeschossen, also muss er über die Notaufnahme gekommen sein.«
»Das hilft mir leider nicht weiter. Ich bekomme lediglich den Namen des Patienten, seine Zimmernummer und seine medizinischen Daten. Über die Einlieferung habe ich keine Angaben.«
»Und wenn er verlegt worden wäre? Würden Sie das nicht mitgeteilt bekommen?«
»Möglich.«
»Hören Sie, gibt es irgendjemand anders, mit dem ich darüber sprechen könnte?«
»Ich wüsste nicht, mit wem, es sei denn, Sie wollen jemanden von der Verwaltung sprechen.«
»Können Sie nicht auf der Intensivstation anrufen? Wenn Sie seine Verletzungen beschreiben, weiß man dort vielleicht, wen Sie meinen.«
»Also«, sagte sie zögerlich, »Es gibt eine Sozialarbeiterin für Verletzungsopfer. Sie wäre sicher verständigt worden, wenn der Patient Opfer eines Gewaltverbrechens war. Soll ich sie anrufen?«
»Wunderbar. Bitte tun Sie das. Vielen Dank für Ihre Hilfe.«
Mittlerweile hatte sich hinter mir eine Schlange gebildet. Die Leute verlangten nach Auskünften, und die Verzögerung machte sie ungeduldig. Mrs. Lewis wirkte widerwillig, aber schließlich griff sie doch noch einmal zum Telefon und wählte einen Hausanschluss. Nach den ersten zwei Sätzen sank ihre Stimme zu unhörbarem Flüstern herab, und sie wandte das Gesicht leicht zur Seite, damit ich ihre Lippen nicht lesen konnte. Als sie aufgelegt hatte, sah sie ein wenig an mir vorbei. »Wenn Sie warten möchten — sie haben gesagt, sie schicken jemanden.«
»Stimmt etwas nicht?«
»Nicht dass ich wüsste. Die Sozialarbeiterin ist zurzeit nicht in ihrem Büro — wahrscheinlich irgendwo auf dem Stockwerk. Die Leiterin der Intensivstation versucht, sie ausrufen zu lassen, und meldet sich dann wieder bei mir.«
»Das heißt also, er ist hier?«
Der Mann hinter mir sagte: »He, Lady, jetzt mal halblang. Lassen Sie uns auch mal drankommen.«
Mrs. Lewis wirkte nervös. »Das habe ich nicht gesagt. Ich weiß nur, dass die Sozialarbeiterin Ihnen vielleicht helfen kann, wenn Sie warten und mit ihr reden möchten. Wenn Sie sich bitte setzen wollen...«
»Danke. Sie vergessen mich aber nicht?«
»Herrgott, ich sag’ Ihnen persönlich Bescheid«, fauchte der Mann.
Ich war zu aufgewühlt, um mich auf ein Wortgeplänkel einzulassen, und so ließ ich die Bemerkung unkommentiert und ging zu einem freien Sitzplatz. Auf meiner Fahrt nach L.A. hatte ich nicht damit gerechnet, dass es so weitergehen würde. Ich hatte mir einen Moment an Mickeys Bett ausgemalt, ein Gefühl der Buße und die Gelegenheit zur Wiedergutmachung. Nun übertrug sich seine latente Paranoia auf mich. War etwas mit ihm passiert? Hatten die Detectives Claas und Aldo mir etwas verheimlicht? Es war immer noch möglich, dass er unter falschem Namen eingeliefert worden war. Verbrechensopfern gewährt man, ebenso wie Prominenten, häufig dieses zusätzliche Maß an Schutz. Wenn das der Fall war, dann wusste ich nicht, wie ich mir den Weg zu seinem Alias erschleichen sollte. Ich wusste nur, dass ich mich nicht vom Fleck rühren würde, bis ich eine Spur von ihm hatte.
Jemand hatte ein zerlesenes Exemplar des Sunset liegen lassen. Ich begann es durchzublättern, um mich abzulenken. Ich musste mich fassen. Ich brauchte einen Moment der Ruhe, während ich ergründete, wen ich in den Hintern treten musste und wie fest. Ich entschied mich für einen Artikel darüber, wie man eine Terrasse pflastert, Zeichnungen eingeschlossen. Alle zehn oder fünfzehn Sekunden blickte ich auf, sah auf die Uhr und musterte Besucher, Patienten und Krankenhausangestellte, die die Halle betraten, aus der Cafeteria kamen und durch die Glastüren schritten. Es war wichtig, die Fläche in einer Tiefe von fünfzehn Zentimetern auszuheben sowie erst eine Lage Kies und dann eine Lage Sand aufzubringen, bevor man begann, die Steine zu verlegen. Ich wählte für meinen imaginären Freisitz das Fischgrätmuster. Dreißig Minuten vergingen. Ich las sämtliche Artikel über Gartenbau durch und machte mit den fettarmen Kochrezepten weiter, in denen hauchdünner Blätterteig und frisches Obst verarbeitet wurden. Ich hatte keine Lust, etwas zu essen, das unter einem feuchten Handtuch gehalten
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