Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer
werden musste, während ich es zubereitete.
Jemand setzte sich auf den Stuhl neben mir. Ich sah hinüber, erkannte Gian Aldo und war sauer. Die Frau an der Information hatte mich eindeutig verpfiffen. Aldo sagte: »Ich dachte mir schon, dass Sie es sind. Was zum Teufel wird hier gespielt? Ich bekomme einen Anruf, in dem man mir sagt, dass eine Frau hier Stunk macht und versucht, einer armen, nichts ahnenden Ehrenamtlichen Mickeys Zimmernummer abzuluchsen.«
Ich spürte, wie mir die Farbe in die Wangen stieg. »Ich habe keinen >Stunk gemacht<. Ich habe nicht einmal die Stimme erhoben, sondern bin nur gekommen, um zu erfahren, wie es ihm geht. Was ist schon groß dabei?«
»Wir haben veranlasst, dass man uns verständigt, wenn jemand kommt und nach Magruders Zimmer fragt.«
»Woher sollte ich das wissen? Ich mache mir eben Sorgen. Ist das gesetzwidrig?«
»Kommt auf Ihre Absichten an. Schließlich könnten Sie selbst die Schützin sein — haben Sie schon mal daran gedacht?«
»Natürlich habe ich daran gedacht, aber ich habe nicht auf ihn geschossen«, entgegnete ich. »Ich hatte Angst um ihn und dachte, dass mir wohler wäre, wenn ich ihn sehen könnte.«
Aldos dunkle Brauen zogen sich zusammen, und ich sah ihm an, dass er sich bemühte, mir beherrscht zu begegnen. »Sie hätten uns vorwarnen können. Wir hätten Sie bei Ihrer Ankunft erwarten und Ihnen Zeit und Ärger ersparen können.«
»Ihr höchstes Ziel im Leben.«
»Hören Sie, ich war mitten in einer Besprechung, als der Anruf eintraf. Ich hätte nicht sofort losrasen müssen. Ich hätte Sie hier sitzen und schmoren lassen können. Das wäre Ihnen Recht geschehen.« Er starrte über die Halle hinweg. »Offen gestanden ist mein höchstes Ziel, Magruder zu schützen. Bestimmt können Sie das Risiko einschätzen, nachdem wir nicht die leiseste Ahnung haben, wer auf ihn geballert hat und warum.«
»Ich begreife Ihre Situation«, gestand ich ein. Es handelte sich um laufende Ermittlungen, und ich war Sand im Getriebe, weil ich das Protokoll ignoriert hatte. Da Mickey mein Ex war und die Pistole, die am Tatort gefunden worden war, mir gehörte, sah mein plötzliches Erscheinen im Krankenhaus nicht so gut aus. »Tut mir Leid. Manchmal will ich unbedingt etwas wissen und neige dazu, mich einzumischen. Ich hätte Sie anrufen sollen. Es war mein Fehler.«
»Darüber brauchen wir uns jetzt nicht den Kopf zu zerbrechen.« Er sah auf seine Uhr. »Ich muss wieder an die Arbeit, aber wenn Sie wollen, kann ich Sie ein paar Minuten auf die Intensivstation begleiten, bevor ich fahre.«
»Ich darf nicht mit ihm allein sein?«
»Genau«, bestätigte er. »Zum einen ist er immer noch bewusstlos. Und zum anderen liegt es in meiner Verantwortung, seine Sicherheit zu gewährleisten. Ich bin meiner Dienststelle zur Rechenschaft verpflichtet, und zwar ohne Wenn und Aber. Ich möchte nicht grob klingen, aber so ist es eben.«
»Dann mal los«, sagte ich und unterdrückte den Drang, mich aufzulehnen. Es war klar, dass ich ihm in jeder Hinsicht nachgeben musste. Dieser Mann war der offizielle Torwächter. Mickey war wichtiger, als die Autorität auszumanövrieren oder bei einem Streit die Oberhand zu erringen.
Ich erhob mich gleichzeitig mit ihm und folgte ihm durch die Halle, wobei ich mich fühlte wie ein Hund, der gelernt hat, bei Fuß zu gehen. Wir marschierten nach rechts den Flur entlang, ohne ein Wort zu wechseln. Er drückte auf den Knopf für den Aufzug. Während wir warteten, zog er ein Päckchen Kaugummi heraus und bot mir einen Streifen an. Ich lehnte ab. Er nahm sich selbst einen, riss ihn in der Mitte entzwei, wickelte ihn aus und schob ihn sich in den Mund. Die Aufzugtüren öffneten sich. Ich trat hinter ihm hinein, und wir drehten uns um und blickten auf die Türen, während wir aufwärts fuhren. Ausnahmsweise machte ich mir nicht die Mühe, mir den Weg einzuprägen. Es hatte keinen Sinn, mir vorzunehmen, Mickey allein aufzusuchen. Wenn ich irgendwelche Mätzchen versuchte, würde Detective Aldo mich nach allen Regeln der Kunst zur Schnecke machen.
Wir betraten die Intensivstation 7 E, wo man den Detective offenbar vom Sehen kannte. Während wir ein kurzes Gespräch mit den Schwestern am Stationstisch führten, bekam ich Gelegenheit, mich zu orientieren. Die Atmosphäre war seltsam: die Lichter leicht gedämpft, der Geräuschpegel durch den flaschengrün und grau gemusterten Teppichboden reduziert. Ich schätzte, dass es zehn oder zwölf Betten waren,
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