Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer
erwähnt, dass die Schießerei in einer belebten Gegend mit vielen Lokalen stattgefunden hatte. Vor meinem geistigen Auge formte sich schon jetzt ein Bild. Mickey hatte nie ein eigenes Haus besessen, und so hielt ich Ausschau nach einem Wohnblock, und zwar einem der schlichten Art, wenn ich ihn richtig einschätzte.
Ich fuhr an den endlosen Häuserblocks auf dem Teil des Sepulveda Boulevards entlang, den ich herausgesucht hatte. Dies war zwar nicht die übelste Gegend von L.A., aber auch nicht gerade eine Augenweide. Überall standen Plakatwände. Unzählige Telefonmasten durchbohrten die Stadtsilhouette, und dichte Kabelstränge zogen sich in sämtliche Richtungen. Ich passierte Tankstellen, einen Copy-Shop, drei Tierkliniken, ein 7-11 und einen Reifen-Discountmarkt. Ich sah die Hausnummern höher werden, von einer Waschstraße zu einem Schilderladen, von einer Baustelle über einen Schnellölwechsel zu einer Autowerkstatt. In dieser Gegend konnte man, falls man sich nicht für Bauholz oder Fastfood interessierte, immer noch Leder zu Sonderpreisen kaufen oder sich bei Party Smarty für die nächste Feier eindecken.
Erst als ich den Block mit den 2800er-Nummern erreichte, spürte ich, dass das Mickeys Terrain war. Das H-förmige, dreistöckige Mietshaus mit der Nummer 2805 hatte eine rau verputzte Fassade in tristem Grau, durchhängende Außengänge und gläserne Aluminiumschiebetüren, die aussahen, als wären sie schwer zu öffnen. Flecken, die wie Stalaktiten geformt waren, saßen unterhalb des Daches auf dem Verputz. Unkraut spross aus den Rissen im Beton. Eine ausgetrocknete Wasserrinne verlief an der Südseite, übersät von Steinen und Müll. Der Maschendrahtzaun, der die Grundstücksgrenze markierte, lehnte nun in einem Gewirr abgestorbener Büsche an der Seite des Wohnblocks.
Ich fuhr daran vorbei und musterte die nächste Kreuzung. Dort gab es einen Elektronikladen, ein Fotolabor, ein Farbengeschäft, einen Mini-Markt, eine Billardhalle, ein rund um die Uhr geöffnetes Café, zwei Kneipen und ein chinesisches Restaurant — wo Mickey am liebsten aß. Ich entdeckte eine Einfahrt, und bei der ersten Lücke im Verkehr wendete ich und fuhr in die entgegengesetzte Richtung bis zu dem Gebäude zurück. Zwei Häuser weiter fand ich einen Parkplatz. Ich stellte den Motor aus und blieb im Auto sitzen, um das Umfeld zu studieren, falls das nicht zu großspurig klingt. Das Gebäude sah so ähnlich aus wie das, wo Mickey gewohnt hatte, als wir uns kennen lernten. Damals war ich, ebenso wie jetzt, über seine Gleichgültigkeit seiner Umgebung gegenüber entsetzt gewesen. Das Schild vor dem Haus sprach von Studios und Zwei- oder Dreizimmerwohnungen, die JETZT ZU VERMIETEN waren, als wären das die allerletzten Neuigkeiten.
Die Grünanlagen bestanden aus einer Gruppe Bananenpalmen mit dunkelgrünen, zerzausten Blättern, die aussahen, als wären sie von Macheten zerschlitzt worden. Das Verkehrsaufkommen in der Gegend war stark, und ich ertappte mich dabei, wie ich die Autos in beiden Richtungen musterte und mich fragte, ob Detective Aldo vorbeifahren und mich hier erwischen würde. Allein bei dem Gedanken wand ich mich vor Scham. Nicht dass er mir verboten hätte, hier aufzutauchen, aber er wäre nicht begeistert, wenn er es herausfände.
Ich ließ den Wagen wieder an und fuhr los. Nach einem halben Block bog ich an der ersten Ecke rechts ab und dann wieder rechts in die Gasse, die hinter der Häuserreihe verlief und an der Rinne endete. Irgendjemand hatte den geknickten Drahtzaun niedergetrampelt, so dass man das Grundstück betreten und in den Graben steigen konnte. Ich hielt neben den Mülltonnen und wendete erneut, so dass die Front des Autos wieder der Einfahrt in die Gasse zugewandt war. Ich schnappte mir meine Hüfttasche vom Rücksitz und nahm mir die Zeit, meine Dietriche, eine kleine Taschenlampe, mein Miniwerkzeugset und ein Paar Gummihandschuhe hineinzustecken. Ich schnallte mir die Tasche um die Hüften, stieg aus und schloss den Wagen ab.
Ich trottete den Durchgang zwischen Mickeys Haus und dem nächsten Wohnblock entlang. Nachts musste es hier recht finster sein, da die Fassungen der Außenbeleuchtung entweder lose herunterhingen oder völlig fehlten. Eine Reihe grau lackierter Wasseruhren stand an der Seite, bei Nacht echte Schienbeinfallen. Indem ich mich ein wenig reckte — also auf und ab hüpfte wie ein Zulu — konnte ich durch die verschnörkelten schmiedeeisernen Gitterstäbe in die Fenster
Weitere Kostenlose Bücher